Freitag, 26. Januar 2024

26. Januar 2024 - Pipi in den Augen - Weinen als Lernprojekt: Ein Beitrag aus März 2017





Pipi in den Augen - Weinen als Lernprojekt

Es gibt keine irrwitzigen Ideen, auf die am Ende nicht doch noch jemand kommt - und wenn er Glück hat, Kapital daraus schlägt. Auch ich bin gerade auf der Suche nach etwas völlig Absurden, aber noch nicht fündig geworden.

Diese Idee kann ich nun nicht mehr für mich beanspruchen, aber sie wäre auch nicht in meinem Sinne:

Die Japaner tun sich in der Regel schwer damit, Gefühle zu zeigen - weil sie so erzogen werden, dass die Außenwelt auf die Gefühle des einzelnen nicht erpicht ist.

Heulen in der Öffentlichkeit? Ein Unding für den Japaner.

Aber eine gesellschaftsfähig machende Rettung naht:

Inzwischen besuchen viele Japaner und das wird auch von japanischen Firmen gefördert,

Heul-Seminare.

Ja, genau, hier handelt es sich nicht um Sirenen, die man zu bedienen lernt,

sondern um echte Wein-Seminare -

ach, auch Wein, den man trinken kann,

führt auf die falsche Spur.

Tränen sind gemeint. Echte, tiefe Tränen, immer dann vergossen, wenn sie im Westen der Welt oder auch im gesamten Rest als Befreiungs-Schlag der Seele angesehen werden. Für trauernde Menschen sind sie hilfreich,

aber es gibt auch Tränen des Glücks.

Nicht so in Japan - da gab es letztes Jahr den ersten Grand Prix der flennenden Männer. Die machen gleich aus jeder Erfindung eine Disziplin der Höchstleistungen.

Selber kann ich keine Tränen zusteuern,

denn ich habe zwar hier und da mal Pipi in den Augen,

aber ich weine nie. Es kann passieren, was will, ich weine nicht!

Schon habe ich mich aus Verzweiflung auf die Suche nach einem japanischen Vorfahren gemacht - aber fündig geworden bin ich nicht.

Und dann erinnere ich mich zum Glück - aber  es ist schon ein paar Jahre her, als ich vor lauter Wut geweint habe. Mein einziger Grund, in Tränen auszubrechen.

Ansonsten: Ich führe ein ganz und gar tränenloses Dasein, das nicht einmal ein schlimmer Liebesfilm beenden kann,

stattdessen belustigen mich

Krokodilstränen ungemein,

und auch die Tatsache, dass manch einer ganz ohne tieferen, aber mittels eines banalen Grundes

in einem Tränenmeer versinkt,

bringt mich höchstens auf die nächste Palme. Dort bekomme ich jedoch nicht die nötige Wut, um loszuheulen.

Tränen lügen nicht? Aber Hallo! Japan ist das beste Beispiel - da heulen die Leute auf Ansage, und auch deshalb, weil es gerade angesagt ist. Aber sie lernen auch, wie man möglichst ästhetisch heult.

Männertränen sind manchmal - nicht immer - die ehrlichsten, wie ich festgestellt habe.

Aber wenn ein Kerl wie ein Baum bei "Love Story" losheult,

ist das für mich nur der Beweis dafür, dass man solche Filme nicht ansehen sollte, ohne vorher den Beipackzettel

gelesen zu haben.

Nicht, dass nun jemand denkt, ich sei unglücklich, weil ich nicht bei jeder Gelegenheit - und auch dann nicht, wenn es wirklich dramatisch wird,

weine.

Ich bin  natürlich hier und da genau so traurig wie andere Menschen - aber ich weine nicht. Der eine hat nah am Wasser gebaut,

ich eben nicht.

Und ich würde mich freuen, wenn mich im ganzen kommenden Leben nichts mehr

so aus der Bahn wirft, dass ich doch wieder anfange zu weinen.

Denn natürlich gibt es einen Grund, warum ich heute nicht mehr weinen kann  -

ich habe vor sehr langer Zeit und wegen eines sehr traurigen Todesfalls alle

Tränen aufgebraucht. Mehr als ich damals vergossen habe, hatte das Tränen-Portfolio für mich nicht bereit.



Guten Tag, Gruß Silvia


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen