5. Teil
Henry, Charlie und Momo
Was nützt es also, wenn man den Lebenshindernissen die Zunge rausstreckt, um zu zeigen, dass man sich nicht unterkriegen lässt? Es nützt immer etwas, ein positives Auge auf die Zeit zu haben und sich in einem Wettkampf mit ihr vielleicht sogar der Begrenztheit zu stellen.
Hätten Charlie und ich das nicht getan, wären uns vielleicht keine 17 Monate geblieben, in denen er als Hund noch einmal durchstarten konnte und ich wieder eine Hunde-Mutter war.
Auf immer wird Charlie mein Buddhist bleiben: und zwar der einzig wahre Buddhist auf dieser Welt. Denn um Buddhist sein zu können,
kann man eigentlich kein Mensch sein: es ist eine wirklich viel fordernde Religion, und vor allem erfordert sie eine immense Selbstlosigkeit und Bescheidenheit und eben all die Dinge, die Menschen so gar nicht beherrschen.
Charlie, der Buddhist, traf auf mich, die (einst katholische) Agnostikerin: und für all meine restliche Lebenszeit habe ich von diesem
kleinen großen großartigen Hund gelernt, dass man sich selber nicht so ernst nehmen soll und man sich den wichtigen Dingen widmen sollte, ohne sich in Kleinigkeiten oder Kleinlichkeiten zu verlieren. Und man sollte wissen, was wichtig ist ... und was nicht.
Immer, wenn ich mich heute über Kleinigkeiten aufrege, denke ich an Charlie - und nicht nur dann. Er ist an jedem einzelnen Tag mein
unvergessener Gedanke.
Noch etwas schüchtern stand er im Tierheim-Auslauf, kurz bevor wir uns näherkamen. Seine weitgehende Distanz zu den meisten Menschen und Hunden hat Charlie nie mehr abgelegt, aber er suchte und bekam die Nähe der Menschen, die er lieben konnte - und er hatte einen soliden und verlässlichen Hundefreund,
eben Henry. Schade, dass man Henry nie fragen konnte, ob er Charlie vermisst ... denn immerhin haben sie einander 17 Monate lang beinahe täglich gesehen.
Ein anderer Hund, den Charlie gern hatte - wollte leider weder etwas von ihm noch von Henry wissen.
Ein einziges Mal wagte es der sonst sehr vornehm-zurückhaltende Charlie, sich einem Hund von hinten zu nähern, um ihn abzuschnuppern ... und das wurde unverzüglich von dem Hund "Bonbon" geahndet, indem er Charlie auf den Rücken warf. Und weil ihm das scheinbar sehr gefiel und Henry ebenfalls nicht sein Typ war,
warf er ihn im Anschluss auch noch auf die Steine.
Dennoch: jedes Mal, wenn Bonbon uns im Wald passierte, sah Charlie ihn sehnsuchtsvoll an - als hätte er etwas, das ihm selber fehlte und dass er von dem anderen lernen wollte ... Bonbon seinerseits meidet uns bis heute - obwohl Charlie nicht mehr lebt und Momo nun Henry begleitet - und flitzt an uns vorbei, als hätten wir üble Dinge im Sinn oder den Teufel im Nacken sitzen.
Nun ja, ein bisschen nehme ich es "Bonbon" wirklich übel, dass er den allerbesten aller Hunde derart links liegen gelassen hat und ihm überhaupt kein wenig Aufmerksamkeit schenken wollte.
Ich hätte es Charlie gegönnt, dass er einen weiteren Freund in seinem Leben gehabt hätte. Es sollte nicht sein - abgesehen von einigen vorübergehenden und wiederkehrenden Begegnungen, blieben tiefere Hundefreundschaften aus.
Zumindest blieben auch Angriffe wie die von "Bonbon" aus - Charlie zog niemals den Zorn anderer Hunde auf sich (Bonbon war die einzige Ausnahme). Er selber war natürlich als Buddhist ebenfalls niemals zornig auf irgendwen.
In unseren 17 gemeinsamen Monaten hat Charlie nur ein einziges Mal einen anderen Hund angebellt, und ich möchte beinahe sagen, dass dies zu Recht geschah, denn "Goethe", so heißt der Hund, ist kein einfacher Kerl, der aber sicher durch eine tragische Vergangenheit zu einem ziemlich "schweren Jungen" geworden ist ... das war offenbar auch unter der neuen "Goethe-Leitung" nicht mehr zu tilgen. Wenn möglich, gehe ich diesem Hund bis heute gern aus dem Weg.
Ganz anders Henry: er war einer der wenigen, der sich stets freute, Goethe zu sehen.
Ich habe allerdings eine Frau getroffen (und sie meinte, sie sei nicht die einzige), deren Hund von Goethe gebissen worden ist - und sie im Anschluss nicht nur einen verletzten Hund hatte, sondern auch auf den Tierarztkosten sitzengeblieben ist ...
Ansonsten hat Charlie niemals gebellt - weder gegenüber Mensch noch Tier - außer manchmal in den Nächten ganz leise im Traum.
Zu den regelmäßigen Untersuchungen in der Tierklinik begab er sich ganz in die Hände des jeweiligen Tierarztes und ließ sich jede Untersuchung gefallen, als begriffe er die Notwenigkeit. Die stetige Erhöhung der Herzmedikamenten-Dosis ertrug er ebenso geduldig.
Es war mir eine große Ehre, ihn 17 Monate und bis zu seinen letzten Minuten begleiten zu dürfen.
Am 12. Dezember 2022 starb er um 9.25 Uhr in der Tierklinik Asterlagen. Und selbstverständlich hielt ich bis zuletzt seine Pfötchen.
... und das war wunderbar |
Guten Tag, Gruß Silvia
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