Trauerbewältigung ...
Das vorangestellte Foto kann erst einmal sinnlos wirken, ist aber genau richtig gewählt. Trauerbewältigung bedeutet für jeden etwas anderes - und alles, was hilft, ist von Natur aus auch richtig.
Als mein Bruder Heinz mit gerade mal 19 Jahren bei einem Hotelbrand ums Leben kam, waren wir alle untröstlich und es gab kaum Hoffnung, dass wir jemals wieder lachen würden. Der eine - mein Vater - versteckte seine Trauer unter seiner Stärke, die ihm jedoch nicht gut bekommen ist. Meine Mutter ließ ihrem Leid freien Lauf - und nachdem sie zunächst auf viel Verständnis gestoßen war, mündete das irgendwann in dem gelangweilten Desinteresse der anderen.
Bald schon ergab sie sich ihrem persönlichen Unglück, aus dem sie zunächst keinen Ausweg gesehen hat.
Dann entdeckte sie bunte Farben durch bunte Wolle. Und obwohl sie sich nie für Handarbeiten interessiert hatte, holte sie wohl ihre Schul-Häkel-Kenntnisse wieder hervor und häkelte drauf los. Sie geriet in einen wahren Rausch:
Bald lagen überall bunte Decken und knatschgrelle Kissen herum und verschönerten keinesfalls die Wohnumgebung. Wer häkelt, muss vielleicht nicht so viel nachdenken. Die tieftraurigen Gedanken kanalisierten sich in etwas Buntem. Mein Vater ertrug die kunterbunte Welt wie ein Held: er legte niemals ein Veto ein.
Zum Glück hat sie sich nicht daran gemacht, mich kleid- und pullovermäßig "verschönern" zu wollen, sie blieb bei Decken in allen Größen und Kissenbezügen.
Eine Scheußlichkeit reihte sich an die nächste, aber ihr half es. Ob es ihr wirklich gefiel, war wohl kaum die Motivation, jahrelang weiterzuhäkeln. Es gab viel Platz und der musste genutzt werden, um sie durch bunte Farben zumindest ein wenig zu erfreuen und auf andere Gedanken zu bringen.
Als sie in 2010 starb, hat sie schon lange nicht mehr gehäkelt, aber ein paar der damals entstandenen Decken gab es immer noch in ihrer Wohnung. Die restlichen hatte sie wohl längst und zum Glück ihrer traurigen Erinnerungen an Heinz entsorgt.
Jeder muss eben das tun, von dem er sich Hilfe verspricht.
Daran habe ich mich erinnert, als mein Hund Charlie im letzten Dezember starb: ich kaufte mir Wolle und begann mit dem Stricken. Häkeln kann ich überhaupt nicht, und auch im Stricken bin ich keine Meisterin, sondern eine ewige Anfängerin.
Auch übertreibe ich es nicht wie meine Mutter, habe aber den Spaß an etwas gefunden, von dem ich mir eigentlich gar keinen Spaß erhofft hatte. Ich bin nämlich ebenso wenig von Handarbeiten begeistert wie meine Mutter es eigentlich war ... aber ich stricke weiter: sehr langsam, sehr bedacht - und ohne mich mit dem Gestrickten zuzumüllen.
Einen kleinen Nebeneffekt habe ich allerdings festgestellt: wenn ich stricke, rauche ich viel weniger bis überhaupt nicht ... also ist Stricken auch noch gesund.
Jeder muss in seiner Trauer sehen, wo er am Ende selber bleibt. Meine Mutter hat zwar niemals den Tod von Heinz überwunden,
aber ab irgendwann konnte sie wieder - manchmal - von Herzen lachen. Vielleicht hat sie zu diesem Zeitpunkt mit dem Häkeln aufgehört, um nicht noch ganz Dortmund zu "verschönern" - ich erinnere mich nicht mehr genau.
Guten Tag, Gruß Silvia
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