Aus der Sicht eines Hundes:
erst Corona - jetzt Weihnachten - dann wieder Corona
"Als es mit Corona anfing, ging es für meine Spezies noch mehr bergab als üblicherweise, denn wir wurden nun als Ramsch-Ware auf den Markt geworfen ... die Produktionen liefen auf Hochtouren, um viele Corona-Geschädigte zufrieden stellen zu können. Die zahlreichen Neu-Interessenten sagten sich: wenn kein Welpe von einer Züchterin zu bekommen ist, dann eben einen aus irgendeinem dubiosen Kofferraum.
Ich durfte im Frühjahr 2020 in das Haus der Familie Steinmann ziehen. Die Freude, mit der mich die drei Familienmitglieder begrüßten, verhieß mir ein tolles Leben, in dem es mir an nichts mangeln würde. Vor lauter Glück pinkelte ich erst einmal auf einen schönen und sicher teuren Teppich.
Offenbar war dies mein erster Fehler. Frau Steinmann, die sich als mein "Frauchen" betitelte, bekam einen Wutanfall - und Herr Steinmann stotterte etwas von einer teuren Reinigung.
Was hatte ich falsch gemacht? Ich war ein Welpe, ich war noch nicht stubenrein! Überhaupt hatte ich noch keinerlei Erziehung genossen.
In der nächsten Zeit wurde mir klar: man hatte mich als Überbrückungshilfe für eine sehr traurige Zeit mehr angeschafft als ehrlich herbeigesehnt: die Menschen "meiner" ersten Familie sprachen viel über das Corona-Virus ... und dass sie nun von zu Hause aus arbeiten mussten.
Sie saßen tagsüber vor den Computern. Spielzeug hatten sie mir gekauft, aber allein spielen macht eben keinen Spaß. Wenn ich die quietschenden Dinger zu Herrn oder Frau Steinmann brachte, wurde ich böse weggeschubst ... spazieren ging niemand mit mir,
weshalb es natürlich zu täglichen Pipi-Unfällen im Haus kam. Manchmal ließen sie mich hinaus in den kleinen Garten.
Ich traf niemals Artgenossen, so dass ich mehr und mehr dachte, ich sei der einzige meiner Art auf der Welt, und alle anderen wären bereits ausgestorben ... oder es hatte sie nie gegeben.
Später wurde mir klar, dass es vielen Hunden und auch Katzen wie mir erging: wir alle waren keine Wunsch-Tiere und dienten nur der Ablenkung durch ein Wesen mit einem schlagenden Herzen. Von Bedürfniserfüllung konnte keine Rede sein ...
Zwei Monate und drei bis dreißig Teppichverunreinigungen später landete ich in einem Tierheim. Dort traf ich auf Leidensgenossen, die auch die einsame Zeit während Corona abdecken sollten, aber an dieser Aufgabe gescheitert waren. Wir sind eben kein Spielzeug, das man bei Nicht-Bedarf in eine Ecke stellt und vergessen kann ...
Es war dann auch kein Glück, als ich in eine weitere Familie kam. Die Michels hatten zwei Kinder und arbeiteten ebenfalls im Home-Office. Im Tierheim hatten sie angegeben, sich schon immer einen Hund gewünscht zu haben ... und dass die Adoption nichts mit Corona zu tun hätte ...
Wie sehr das gelogen war, merkte ich schnell. Zum Kuscheln durfte ich Frau Michels Gesellschaft leisten, ging es um meine Bedürfnisse,
stand ich wieder ganz allein auf weiter Flur. Manchmal ging einer von ihnen mit mir 5 Minuten vor die Tür, damit ich mich "erleichtern" konnte. Meine Tage bestanden aus einer Aneinanderreihung von langweiligen Momenten.
Wie lange ich bei der Familie Michels war? Gefühlt ein ganzes Hundeleben lang, in Wirklichkeit aber nur sechs Wochen. Man brachte mich ins Tierheim zurück und erzählte,
ich sei bissig! Ich und bissig! Nie im Leben. Ich wollte, ich wäre es ...
Weihnachten 2020 landete ich mit einer großen Schleife unter dem Tannenbaum von Familie Schlüter. Was wurde ich betüddelt und geknuddelt und gefüttert! So war es allerdings nur bis zum 2. Weihnachtstag, denn genau an dem Tag
flaute das Interesse der gesamten Familie ab.
Ich war noch nicht einmal ein Jahr alt und hatte bereits drei Namen verbraucht, drei Familien in den Wahnsinn getrieben (wie sie dem Tierheim-Mitarbeiter jeweils versicherten) und das sicher unglücklichste Wesen auf der Welt."
Tiere sind keine Überbrückungshilfen für die Zeit der Pandemie
- und auch keine Weihnachtsgeschenke
Tiere sind fühlende, intelligente Wesen, die mehr brauchen, als Menschen einen vorübergehenden Spaß zu bringen, nur, weil diese sich im Moment nicht gut oder weitgehend einsam fühlen.
Das Geschäft mit den Vermehrer-Welpen aber blüht: da hausen Mutterhündin und Vaterhund in engen Käfigen, verwahrlost, verdreckt, vereinsamt (nur für den Zweck einer Zeugung vergesellschaftet) und fristen das trübseligste Dasein, das man sich vorstellen kann. Sind ihre Körper ausgelaugt und völlig verbraucht, werden viele von ihnen erschlagen.
Den so in die Welt geschossenen Welpen wird es nicht viel besser ergehen, wenn sie für viele Leute nur ein lebendiges Spielzeug sind und bei Nicht-Mehr-Gefallen oder Nicht-Mehr-Brauchen gnadenlos abgeschoben werden (wohin auch immer, die Leute sind da leider einfallsreich).
Um ein Haustier muss man sich sein Leben lang kümmern. Und ein Haustier bringt nicht nur Freude, sondern auch jede Menge Verpflichtungen mit sich:
erst, wenn man sicher ist, besonders den Pflichten (z. B., aber nicht nur Tierarztbesuche) nachkommen zu können,
sollte man sich noch dreimal überlegen, ob man wirklich eines möchte ... und ob es auch ins Leben abseits von Corona oder Weihnachten passt.
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