Samstag, 23. Mai 2020

23. Mai 2020 - Bienchens Geschichte - 13. Teil



Von Allenstein nach Dortmund

Nun stand Christel mutterseelenallein in Dänemark, wo sie niemand wollte. Das einzige, was sie spürte, war Ablehnung. Ein unbequemer Flüchtling ... nein, das brauchte man in Dänemark nicht.

Die folgenden Ereignisse, die sie zuerst nach Bochum und dann nach Dortmund verschlugen, bekomme ich weder zeitlich noch chronologisch aneinander gereiht. Außer, dass sie zuletzt nach Dortmund kam und dort später meinen Vater kennen lernte.

Ich weiß nicht mehr, wann sie vom Tod ihres Vaters und zwei ihrer Brüder erfuhr. Lediglich weiß ich, dass sie hoffte, dass ihr Bruder Heinz überlebt hatte - diese Hoffnung wurde erst 1976 vollständig zunichte gemacht. Das Rote Kreuz arbeitete zuverlässig, und es verfolgte auch lange zurückliegende Spuren erfolgreich.

Obwohl ihr natürlich klar war, dass er in 1976 bereits seit langem tot war.  Und sie auch seit vielen Jahren zuvor  keine Hoffnung hatte, nach so langer Zeit ein Lebenszeichen anstelle einer Todesnachricht zu bekommen.


Bruno

hieß ihr Vater. Christel hing mit inniger Liebe an ihm. In dem Verhältnis zu ihr, seiner einzigen Tochter, war er der liebevollste Vater und überdies auch Mensch, den sie je kennen gelernt hatte.

Daher brachte sie seine Tätigkeit in Norwegen nicht überein mit dem ihr bekannten Menschen, dem sie nichts Böses zugetraut hätte. Aber irgendwann war ihr klar:

Er musste ein Nazi gewesen sein. Einerseits war es ihr bewusst, andererseits leugnete sie es. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf ...

Später in ihrem Leben sammelte und las sie unendlich viele Bücher über das 3. Reich, auch in der Hoffnung, darin eine Entlastung für ihren Vater zu finden ... irgendeine Erklärung, die ihr den geliebten Vater in dem Licht erscheinen ließ, in dem sie selber ihn sah.

Ich weiß nicht, ob sie diese Erklärung je gefunden hat. All die vielen Bücher habe ich am Ende zusammen gepackt und sie von Paul an Leute verschenken lassen, die sie lesen wollten.


Mamas Waldo




Waldo war ein Langhaardackel - und wie Pünktchen gehörte ihr auch dieser Hund nicht. Er gehörte dem Geschwisterpaar Möllmann, bei dem sie in Dortmund Unterkunft gefunden hatte. Allerdings wusste Waldo nicht, dass er nicht ihr Hund war:

Er benahm sich eher so, als wäre sie sein Eigentum.

Als ich auf die Welt kam ... begann er, mich zu hassen. Nein, Hass ist ein zu großes Wort, denn es war Eifersucht. Schlimm gebissen hat er mich, als ich ein Kleinkind war. Bis heute trage ich dem nur einer Person treuen Dackel nichts nach, er ist in meinem Gedächtnis geblieben,

als wäre er mein eigener Freund gewesen.

Ich kenne viele Geschichten über Waldo. Denn er muss großartig gewesen sein.

Irgendwann wurde der arme Kerl von einem Auto überfahren und starb.

Durch dieses Geschwisterpaar lernte sie später auch meinen Vater kennen. Er war leider viele Jahrzehnte kein besonders tierlieber Mensch, und Waldo bedeutete ihm rein gar nichts. Nach all diesen Jahren und viel später verdrehte ihm der Pudel

"Panni"

den Kopf und polte ihn zu ihren Gunsten zu einem großen Hundefreund um.

Bienchen hat er nicht mehr kennen gelernt. Er starb 1994.

Doch mit ihrem liebevollen, aber auch sturem Wesen, hätte sie ihn sicher ebenso verzaubert wie sie es mit meiner  Mutter tat ...

und schließlich hat Bienchen auch mich mit dem bestem Charakter, den man sich denken kann, überrumpelt ...

Ich wollte doch eigentlich keinen zweiten Hund.


Fortsetzung folgt
Copyright Silvia Gehrmann


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