Samstag, 2. Mai 2020
2. Mai 2020 - Bienchens Geschichte - 8. Teil
Die letzten Tage in Zell
vergingen für mich wie in einem Gedanken-Karussel. Ich hatte meine Mutter wiedergefunden, aber vielleicht würde ich sie schon bald für immer verlieren.
Außerdem hatte ich nun Bienchen im Gedanken-Gepäck. Und Sorge, dass Robin das überhaupt nicht gefallen könnte.
Obendrein würde Bienchen bald läufig werden.
Darauf erst einmal einen Mosel-Wein trinken. Jeder Knoten würde sich irgendwie lösen lassen, jede Hürde könnte genommen werden.
Einerseits hing meine Mutter nicht mehr sehr an ihrem Leben, weil sie es selber für beendet erklärte, andererseits würde ich gerne noch Zeit mit ihr verbringen. Ich dachte sogar daran, sie für ihre letzte Zeit zu mir zu holen.
Dieser Gedanke beschäftigte mich mehr als ich gedacht hatte. Im Geiste baute ich bereits meine Wohnung für sie um. Viel schwieriger wäre es gewesen, ihr das schmackhaft zu machen, denn sie wollte unbedingt unabhängig bleiben - selbst, wenn sie das Krankenhaus noch einmal verlassen könnte. Dass dies nicht wirklich der Fall war, erklärte mir ihr Arzt. Sie würde Hilfe und Unterstützung brauchen. Ich verschob ein wichtiges Gespräch auf später.
Innerlich war ich bereit, ihr Unterstützung zu leisten. Auch, wenn mir die Schwierigkeiten durchaus klar waren.
Noch einmal kam Paul vorbei, um mit mir gemeinsam zu meiner Mutter zu fahren. Erstmals brachte er auch Bienchen mit, die sich freute, Robin wiederzusehen. Oder auch, überhaupt ein wenig Abwechslung zu haben. Auch Robin schien Gefallen an ihr zu haben. Ich hatte Paul vorab gebeten, Bienchen mitzubringen,
weil ich Robins weitere Reaktion auf sie testen wollte.
Die fiel positiv und zu Bienchens Gunsten aus. Zumindest würde Robin nichts dagegen haben, wenn sie vorübergehend zu uns kommen würde.
Leider konnte ich Bienchen nicht mit ins Krankenhaus nehmen. So dachte ich jedenfalls, denn einen Monat später erfuhr ich, dass dies unter bestimmten Voraussetzungen durchaus möglich ist. Aber an diesem Tag, als Bienchen so nahe
bei ihrem Frauchen, meiner Mutter, war wie schon lange nicht mehr,
kam mir das leider gar nicht in den Sinn. Ich hätte einfach nur fragen sollen.
Um 6 Uhr morgens
an einem Freitag im Juni 2010 fuhr ich mit dem Bus zum Krankenhaus hinauf. Meine Mutter sollte an diesem Tag nach Trier verlegt werden. Ich wollte sie vorher unbedingt noch einmal sehen.
Es war das letzte Mal, dass ich meine Mutter gesehen habe. Zwischen Morgenwäsche und Bettenbauen hatten wir kaum ein paar ungestörte Minuten.
Zumindest war sie froh, dass ich Bienchen am selben Tage mit nach Duisburg nehmen würde. Wir verabschiedeten uns, und sie hat vielleicht mehr als ich geahnt, dass dies ein Abschied für immer sein sollte.
Bienchen klammert sich an Paul
Einen anderen Abschied musste Bienchen an diesem Tag nehmen: Den von Paul. Er holte mich in Zell ab, und wir fuhren gemeinsam zum Bahnhof in Bullay. Bienchen im Schlepptau, in Pauls. Mich beachtete sie weiterhin kaum.
Jetzt wäre eigentlich mein Zeitpunkt gekommen, Paul für seine diversen Fahrten zu entlohnen. Aber wie ich inzwischen ahnte, hat Paul nicht nur einmal diese 100 Euro von meiner Mutter bekommen - sondern noch mehr. Was er in den Jahren zuvor alles abgestaubt hat, Schwamm drüber. Später komme ich darauf zurück.
Allerdings war das für mich ein Grund, ihn nicht auch noch zu bezahlen. Lieber hätte ich mit dem Geld eine Zigarette angezündet.
Wir standen auf dem Bahnsteig: Zwei Menschen und zwei Hunde.
"Ich hätte jemanden für Bienchen", sagte Paul, "eine Familie mit einem kleinen Kind."
Einerseits ging er wohl davon aus, dass meine Mutter bald sterben würde, denn man kann einen Hund schließlich nicht in eine neue Familie geben und dann wieder weg nehmen - andererseits halte ich von kleinen Kindern und Hunden als ihre Spielkameraden nicht gerade viel. Wie ich Bienchen heute kenne, und ich kenne sie in- und auswendig, hätte sie sich dort auch nicht wohl gefühlt. Es gibt sicherlich Hunde, die für Kinder-Gesellschaften geeigneter sind als sie.
Jetzt fühlte sie sich auch nicht wohl. Denn ich wollte sie in meine Hundetasche stecken - die hatte ich dabei, und daher fällt mir ein, dass ich wohl doch von Anfang an daran gedacht haben muss, Bienchen am Ende mitzunehmen.
Oh nein, sie wollte sich von mir nicht in die Tasche stecken lassen, obwohl darin genug Platz ist. Wie eine Ertrinkende klammerte sie sich an Paul. Niemals werde ich diesen verzweifelten Anblick vergessen. Sie wusste schließlich nicht,
an wen sie sich klammerte: An einen, der sie nun beinahe zwei Wochen mehr oder weniger allein gelassen hatte!
Schließlich benötigte ich noch einmal Pauls Hilfe. Er musste Bienchen in die Tasche setzen und den Karabiner-Haken an ihrem Gurt befestigen.
Der Zug kam, und ich war Paul los.
Aber ich sollte ihn noch zweimal wiedersehen. Nur Bienchen hat ihn nie wieder gesehen.
Fortsetzung folgt
Copyright Silvia Gehrmann
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