Telefon-Interview mit Petra
Die Geschichte einer Zwangsadoption
in der damaligen DDR
Solch ein Interview kann man nicht mit einem traurigen Unterton oder Mitleid führen, sondern muss es ganz sachlich angehen,
denn Petra hat es stellenweise hörbar schwer, nicht zu weinen. Doch auch sie bleibt sachlich. Wir kennen uns online und vom Telefon seit ein paar Jahren, und wir verstehen uns.
Obwohl?: Allein die Erinnerung an durchgemachte Qualen könnten genau diese traurigen Gefühle wieder hervorholen.
Doch Petra ist heute überglücklich. Ihr Leben könnte nicht besser verlaufen. Sie hat ihre Tochter Bärbel wieder gefunden,
nach vielen, vielen, endlos langen Jahren, in denen die Fragen nach dem geliebten Kind stets präsent waren.
Daher ist es auch ein gut gelauntes Interview.
Im Jahr 1974
begann Petra mit 16 Jahren ihr Studium in Karl-Marx-Stadt. Sie studierte auf den Abschluss einer Diplom-Lehrerin für Polytechnik hin.
Dieses früh angesetzte Studium war in der DDR nach dem Abschluss der 10. Klasse möglich, das Abitur wurde mitsamt dem Studium nachgereicht - und galt ab dem Abschluss des Studiums als vollendet und bestanden.
Diese Erklärung gab Petra mir nebenbei, weil ein Studienbeginn mit 16 Jahren mir aus dem Westen nicht bekannt war. Aber in der DDR war es eine Möglichkeit, besonders begabte Kinder aus z. B. Arbeiterfamilien eben auch besonders zu fördern.
Es ist ja niemals alles nur schlecht ...
Gleichzeitig wurde Petra blutjung in Karl-Marxstadt schwanger.
Mit ihren Eltern in ihrem Heimatort konnte sie nicht darüber reden, denn diese hatten mit einer großen Kinderschar, Petras Geschwistern, genug zu tun, und sicherlich andere, eigene Sorgen - Petras Mutter schob außerdem schon immer gerne ihre Probleme beiseite.
Petra fühlte sich nicht nur sprichwörtlich mutterseelenallein.
Petra sollte sich noch wesentlich verlassener fühlen ...
Eine Sozialfürsorgerin
gab Petra zu bedenken, dass ein Weiterstudieren als junge Mutter schwierig würde. Damals lebte Petra von 190 Ost-Mark im Monat.
Die Gespräche mit der Sozialarbeiterin führten bereits zielweisend darauf hinaus, dass Petra ihr Kind besser zur Adoption freigeben sollte - und ein solch junger Mensch ist leicht zu beeinflussen, wenn man ihm nur die richtigen und stimmigen Argumente in die Hand gibt.
Diese Frau ließ Petra auch in ein Krankenhaus einweisen, da die Geburt kurz bevor stand.
Am 24. Dezember kam Petras Christkind zur Welt. Von der übrigen Welt verlassen, wusste Petra beim ersten Anblick ihrer kleinen Tochter, die sie Bärbel nannte, dass sie sie behalten wollte.
Unbedingt! Allen Problemen zum Trotz!
Aber am 27. Dezember 1974 wurde dem Mädchen Petra ihr Kind sang- und klanglos weg genommen. Sie sah es jahrzehntelang nicht wieder.
Petra fragt sich bis heute, welche Rolle ihre eigene Mutter dabei spielte? Da sie selbst minderjährig war - musste jemand die Einwilligung zur Adoption erteilt haben.
Inwieweit bei anderen Zwangsadoptionen in der DDR Einwilligungen erschlichen wurden, kann man andernorts nachlesen. Es gibt genügend Berichte darüber.
Fortan wurde Petra von den Krankenschwestern der Station wie "der letzte Dreck" behandelt, der sein Kind weg gegeben hatte.
Hatten die Schwestern keine Ahnung von dem wirklichen Geschehen?
Die Jahre danach
ließen Petra permanent an ihr kleines Mädchen denken. Sie fragte sich, wie sie im Alter von einem Jahr war, wie ihr die Einschulung gefallen würde ... und auch sonst ging Bärbel ihr nie, nie aus dem Sinn. Man hatte ihr den wichtigsten Teil ihres Lebens geraubt, und es sah gar nicht gut aus, jemals etwas über
Bärbels Schicksal zu erfahren.
Noch zu DDR-Zeiten versuchte sie vergeblich, ihre Tochter zu finden. Es war aussichtslos. Auch nach der Wende hatte sie kein Glück.
Im Jahre 2012 bekam Petra - inzwischen schon lange verheiratet und Mutter eines Sohnes - Depressionen. Außer mit ihrem Mann hatte sie mit niemanden über ihr verlorenes, geraubtes Kind gesprochen.
Stattdessen stürzte sie sich in die Position einer Frau, die stetig Hilfe für andere leistete, fast schon zwanghaft - und auch, um sich und ihrer vermeintlichen Schuld an diesem Verlust entgegenzuwirken und die Schuld abzugelten (die völlig andere Leute für Institutionen leisteten) , mühsam abzuarbeiten.
Wegen ihrer Depression war sie in Behandlung. In einem Gruppengespräch erzählten zwei Mitglieder der Riege, dass sie als Kinder adoptiert worden seien - und was sie von Müttern hielten, die ihre Kinder weg gaben.
Dies war der Knackpunkt für Petra, ihre Schuldgefühle endlich aufzuarbeiten. Und sich mit ihrer traurigen Geschichte zuerst in der Therapie-Gruppe und dann in der Öffentlichkeit zu outen. Sie wollte Schluss mit all den Geheimnissen
um ihr Schicksal machen.
Im Internet gab (gibt) es eine Gruppe, in der sie ihre Geschichte erzählte - und gleichzeitig nach ihrer Tochter suchte.
Ein Happy End
Über viele Umwege fand schließlich Petras Tochter Bärbel, die immer gesagt hatte:
Wer mich weg gibt, muss mich auch suchen!
ihre Mutter Petra wieder.
Am 31. Dezember 2018 bekam Petra eine SMS mit einigen wenigen, aber den wichtigsten Worten ihres Lebens:
Ich bin Bärbel, die du suchst.
Am 6. Januar 2019 haben Mutter und Tochter zum ersten Mal miteinander telefoniert. Am 21. Januar 2019 haben sie sich endlich wieder gesehen.
Nach 45 Jahren voller Schuldgefühlen löste sich für Petra ein Knoten: Die beiden Frauen verstanden sich auf Anhieb, entdeckten viele Gemeinsamkeiten - sogar ihre Stimmen klingen ähnlich.
Sie sehen sich regelmäßig und wollen bald sogar in eine Nachbarschaft zueinander ziehen, die übrigens in einem anderen Land ist.
Bärbel versteht sich bestens mit ihrem Halbbruder und mit Petras Mann, der sie "mein Mädchen" nennt.
Petra empfindet ihr jetziges Leben als rund und gelungen. Sie könnte nicht glücklicher sein.
Demnächst wird sie auch Bärbels Adoptiv-Mutter kennen lernen.
Vielen Dank, liebe Petra, für dieses offene Interview. Deinen Nachnamen lasse ich außen vor, er ist zweitrangig neben dieser traurigen und doch so glücklich ausgehenden Geschichte,
die das Leben am Ende dann mit einem Happy End gekrönt hat. Du hast es dir mehr als verdient. Und Bärbel kennt endlich ihre Wurzeln.
Guten Tag, Gruß Silvia
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