Samstag, 25. Januar 2020

25. Januar 2020 - Die Rettung einer Seele



Die Rettung einer Seele

Bienchen war eine arme Seele, als meine Mutter im Juni 2010 ins Krankenhaus kam - und sie ihr Frauchen nie wieder sehen sollte. Sie stand täglich stundenlang hinter der Glastür zur Wohnung meiner Mutter und sah in den Flur,

immer in der Hoffnung, meine Mutter käme zurück. Stattdessen kam manchmal Paul von seiner Wohnung obendrüber zu Bienchen, fütterte und führte sie kurz aus. Kurz stimmt. Viel Zeit nahm er sich nicht für Bienchen, die ihn jedoch bedingungslos, aber unverdient liebte.

Paul war eine Art Sohn-Ersatz für meine Mama. Auf ihr Betreiben hin hatte er dieses große 2-Familien-Haus ein paar Jahre zuvor erworben.

Aber er holte Bienchen nicht in seine riesige Wohnung. Die Ausrede dafür erspare ich meinen Lesern, denn sie ist so unstimmig wie verlogen. Es gab noch wesentlich mehr Verlogenheit und auch Habgier in dieser Wunschsohn/Mutter-Beziehung, und zwar von seiner Seite. Auch das lasse ich einfach unausgeschrieben. Wenn es Karma gibt, dann hat es in seinem Fall voll zugeschlagen. Das habe ich ihm nie gewünscht und ich glaube nicht einmal an Karma, aber am Ende war es mir auch völlig egal. Es gab weder ein Bedauern meinerseits noch Schadenfreude. Auch über dieses Zurückschlagen des Schicksals schreibe ich nicht, denn schlimm war es schon.

Bienchen galt es, zu retten. Erst einmal sollte ich sie vorübergehend zu mir holen, denn es war durchaus im Rahmen der Möglichkeiten, dass meine Mutter das Krankenhaus noch einmal verlassen konnte.

Malteser machen einem ihre Rettung jedoch keineswegs einfach. Hätte ich nicht Robin im Schlepptau gehabt und sie ihn sofort in ihr Herz geschlossen, sie hätte sich noch wesentlich mehr gewehrt, mit mir ins Ruhrgebiet zu fahren.

Wie eine Ertrinkende klammerte sie sich zunächst einmal an Paul, als ich sie in die Hunde-Tasche setzen wollte. Schließlich übernahm Paul dies, aber auch er brauchte jede Menge Kraft dazu. Sie wollte bei ihm bleiben (wenn meine Mutter für sie schon nicht greifbar war),

dieser treulosen Menschen-Seele!


Erste Annäherungen

So konnte ich die Rettung der Bienchen-Seele beginnen, obwohl Bienchen keineswegs von mir gerettet werden wollte, und auch Robin war kein Ersatz für ihr Frauchen, meine Mutter.

Am 18. Juli 2010, einem Sonntagnachmittag, bekam ich den Anruf einer Ärztin. Sie war die behandelnde Ärztin auf der Palliativ-Station, auf der meine Mutter lag:

Das Krankenhaus ist in Trier. Meine Mutter war also sehr weit weg von ihrer Heimat Allenstein, und auch von ihrer 2. Heimat Dortmund trennten sie ein paar Autostunden.

Die Ärztin sprach von einem stabilen Gesundheitszustand meiner Mutter und dass sie das Krankenhaus sicher noch einmal verlassen würde, wenn sie auch nicht mehr ewig lange leben würde. Nun wollte meine Mutter Bienchen sehen ...

Genau 12 Stunden später bekam ich den Anruf mit der Nachricht, dass meine Mutter verstorben sei.

Zu diesem Zeitpunkt lebte Bienchen bereits seit einem Monat bei mir, und sie hatte in Robin, dem Yorkshire-Terrier ihr großes Vorbild gefunden. Sie liebte ihn sicherlich heiß und innig, aber diese Liebe wurde leider nicht mit großer Begeisterung erwidert: Er tolerierte und akzeptierte Bienchen, mehr wohl nicht. Zuweilen verteidigte er sie gegen andere Hunde.

Natürlich wäre ich mit Bienchen zu meiner Mutter ins Krankenhaus gefahren - aber Bienchen hätte dieses Wiedersehen weit zurück geworfen. Immerhin kann man einem Hund mit Worten nichts erklären, und ihre Gefühle hätten sich überschlagen bei diesem Wiedersehen,

dem man dann leider auch schnell wieder ein Ende hätte setzen müssen.

Es bleibt also zwiespältig, Hunde ins Krankenhaus mitzunehmen. Einerseits können sie Herrchen und Frauchen absolut erfreuen,

andererseits aber den Hund tief irritieren.


Aller Anfang ist schwer

Bienchen war gerade einmal ein paar Tage bei mir, als sie in einer Tierklinik unters Messer musste. Ihre Läufigkeit stand kurz bevor, und das konnte man ihr und meinem intakten Rüden Robin nicht zumuten. Da meine Mutter bis zu ihrem Lebensende mit 80 Jahren kopfmäßig topfit war, konnte sie mir so einiges über ihre Malteser Hündin erzählen, auch das von der baldigen Läufigkeit.

Unters Messer musste sie für eine Kastration. Bei Hündinnen ist das ohnehin nicht verkehrt, da sie leider sehr häufig an den Geschlechtsorganen erkranken. Was raus ist, kann auch nicht mehr krank werden.

Bienchen steckte den eintägigen Klinikaufenthalt samt Operation weg wie eine ganz Große, oder wie eine, die jetzt ohnehin durch nichts mehr zu erschüttern war.

In der Folgezeit musste ich sie streng an der Leine halten, denn sie hatte ausgeprägte Fluchtgedanken. Da mag es sich in ihrem kleinen Köpfchen festgesetzt haben:

Wenn ich jetzt abhauen kann, dann komme ich schnurstracks zu meinem Frauchen zurück!

Nein, sie wollte auf keinen Fall bei mir bleiben.

Und als meine Mutter am 19. Juli 2010 starb, konnte ich Bienchen nicht davon erzählen, sie trösten und fragen, ob sie sich nicht doch an mich gewöhnen wollte. Ich konnte rein gar nichts machen, um ihr das Hiersein zu erleichtern,

außer, sie bereits jetzt genau so zu lieben wie Robin.

Meine Liebe war ihr anfangs wohl ziemlich egal.


Die Wende

kam nicht von heute auf morgen oder einfach über Nacht. Sie kam nach etwa 6 Monaten, in denen sie erkannt haben muss, dass ihr altes Leben vorbei ist -

und sie stattdessen ein aktiveres führen musste. Bei meiner Mutter hatte sie eine Menge an Übergewicht angesammelt. Und eine Kastration ist nicht das probate Mittel, um von zu vielen Pfunden herunterzukommen.

Das gelang uns allerdings. Aber nicht im ersten und zweiten Jahr, denn nur allmählich schälte sie ihren schlanken Körper aus der Pummeligkeit heraus.

Die Wende der Annäherung kam dagegen schneller. Vielleicht hatte Bienchen resigniert und sich den Gegebenheiten gebeugt,

denn Malteser sind ausgesprochen treue und anhängliche Hunde.

Wenn es mir nicht gelungen wäre, ihr Herz vollständig zu erobern - ich hätte ihre Seele nicht retten können. Und ihre Seele war jede Rettung wert.

Sie begann, mich als ihren Mittelpunkt anzusehen. Lief mir hinterher, wich mir nicht von der Seite, schlief in meinem  Bett, und sie weinte, wenn ich weg ging.

Da hatte ich eine große Verantwortung übernommen. Aber alle Mühe lohnte sich.

Heute hat sie die damalige Trennung längst überwunden, ist schon über 16 Jahre alt und seit Robins Tod sogar noch mobiler als vorher. Sie ist wohl froh, nun als Einzelhündin mich ganz für sich zu haben.

Bockig wird sie nur, wenn sie mit jemand anderem - auch aus der Familie - spazieren gehen soll. Sie geht nur mit mir. Alle anderen müssten sie zwingen und über den Boden schleifen. Das ginge natürlich nicht.


Eine schlechte Alternative

Damals auf dem Bahnhof in Bullay, als Bienchen sich weigerte, mit mir zu gehen, hat Paul mir den Vorschlag gemacht, sie zu einer Familie mit kleinen Kindern zu geben. Sie seien an Bienchen interessiert.

Er ging offenbar davon aus, dass meine Mutter das Krankenhaus nicht mehr verlassen würde. Im Gegensatz zu ihrer Ärztin.

Ich guckte kurz auf Robin, von dem ich Akzeptanz für Bienchen erhoffte (sonst hätte ich sie leider in andere gute Hände vermitteln müssen)

und lehnte eine Bienchen-Bespaßung für kleine Kinder absolut ab.

Die wenigsten Hunde möchten Spielkameraden von kleinen Kindern werden. Bienchen schon mal gar nicht.  Sie empfindet sich nämlich nicht als Spielzeug.

Wie sehr es doch manchmal in unseren Händen liegt, ob wir eine Seele retten oder nicht:

Denn dort wäre Bienchen wie ich sie nun bereits seit Langem kenne und liebe, nie glücklich geworden. Und ohne Glück wäre ihre Seele nicht wieder gesund geworden.

Vermutlich vermisst ihre Seele ohnehin meine Mutter bis an ihr Lebensende.


Das Bienchen von früher

war ein ängstliches Hunde-Mädchen. Viel hatte sie bei meiner Mutter nicht kennen gelernt. Nicht einmal viele andere Hunde. Ein Jahr lang hatte Paul eine weiße Hündin (ich habe die Rasse vergessen, aber wer sie in diesem Foto erkennt, kann sie mir gerne nennen) besessen, und die beiden Mädchen hatten viel Freude miteinander. Soviel habe ich erfahren, und auch auf Fotos die Eintracht gesehen.

Bienchen mit ihrer liebsten Freundin, etwa 2004


Allerdings hat Paul, der von seinem Vermögen lebt und nicht berufstätig war oder ist, diese Hündin aus "Zeitgründen" abgegeben. Auch Pauls Lebensgefährtin hatte mit einem Halbtags-Job keine Zeit für die Süße.

Anfangs hat Bienchen bei jeder Hundebegegnung vor Angst geschrieen. Das tat weh. Aber Robin hat ihr gezeigt, wie man mit Hunden umgeht. Es dauerte nicht lange, und sie hatte sich sogar ein paar mutige Eigenarten von Robin abgeguckt.

Heute ist sie eine ausgesprochen selbstbewusste Hündin, die sich nicht die Leckerchen aus der Schüssel nehmen lässt.

Ich bin so glücklich, dass ich mein Bienchen habe, dass sie so alt geworden ist und noch immer Freude am Leben hat.

Das allerallerallerschönste Vermächtnis, das mir jemals zuteil geworden ist.


Guten Tag, Gruß Silvia


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