Samstag, 29. April 2017

29. April 2017 - Jeden Lebensweg begleiten Gräber.



Jeden Lebensweg begleiten Gräber

Kein noch so geringes Lebensalter und auch nicht die Schuldlosigkeit auf dem Konto des Lebens befreit den Menschen davon,

den einen oder anderen lieb gewonnenen oder geliebten Menschen auf dem letzten Gang begleiten zu müssen.

Neben dem Tod eines ihm angehörigen Menschen ist der Gang zu seiner Beerdigung die schwerste Leistung, die das Leben ihm abverlangt.

Kinder müssen vor der Zeit gehen, alte Menschen in einer der Erfahrung angemessenen Zeit, während sehr alte Menschen manchmal denken,

sie seien vergessen worden (ich treffe öfter einen auch schon recht betagten Hundebesitzer im Wald, dessen Mutter in der nächsten Woche 106 Jahre alt wird).

Es sterben Menschen bei Unfällen oder an Krankheiten, und kein Lebensalter ist ein gesicherter Garant dafür, dass der Tod nicht mal eben böse um die Ecke guckt.

Eltern verzweifeln, wenn ihre Kinder vor ihnen den letzten Weg antreten,

während das Leben

da draußen und bei all den anderen Menschen

genau so weiter geht wie vor dem Verlust.

Die Sonne geht wieder auf, viele beklagen das schlechte Wetter,

während die Trauer in den Seelen der einzelnen ungesehen bleibt und auch unbeklagt.

Man lebt weiter, man kann auch gut weiter leben - denn Verluste gehören ebenso zum Leben wie Gewinne.

Die Menschen haben sich für Trauer ihre ureigenen Orte geschaffen, die Friedhöfe:

Dort halten sie Zwiesprache an den Gräbern ihrer Lieben, ihrer Unersetzlichen. Sie können ihnen nahe sein, und dennoch sind sie von ihnen an jedem Gedenkort der Welt so weit entfernt,

wenn sie die verlorenen Menschen nicht auch in ihren Seelen tragen.

In dieser Woche hatte ich eine Begegnung mit einer "flüchtigen Bekannten", die mir ihre schlimme Geschichte erzählt hat:

Die ältere Frau - ich schätze sie auf Mitte ihrer siebziger Jahre - hat vor einigen Jahren

ihre Tochter durch Krebs verloren. Von der anderen Tochter ist der Mann an einem malignen Melanom verstorben, gerade mal etwas über 50 Jahre alt,

verursacht durch eine große Brandwunde in seiner Jugendzeit.

Aber das reicht noch nicht: Sie hat eine Enkelin, die mit 15 Jahren ins Koma fiel - und noch heute mit 23 Jahren schläft.

Sie kümmert sich um das Grab der Tochter, besucht jedoch die Enkelin nicht mehr ... Davon darf man halten, was man möchte.

Ich selber besuche nicht die Gräber meiner Lieben, und nicht nur, weil sie an vier verschiedenen Orten beerdigt wurden,

sondern weil mir Gräber gar nichts geben, nichts sagen, nichts bedeuten.

Ich denke jeden Tag an sie. Die paar Male, als ich an ihren Gräbern war,

habe ich Blumen aus dem Papier gepellt und dort herum gestanden, ohne dass ich eine Gefühlsregung hatte.

Sie sind nicht dort, sie sind in meinem Kopf - und der schaltet an den Gräbern einfach ab.


Guten Tag, Gruß Silvia


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