Samstag, 25. November 2023

25. November 2023 - Liebesbriefe für Elzbieta




Liebesbriefe für Elzbieta

Mit etwa 20 Jahren habe ich die 12 Jahre ältere Elzbieta kennengelernt. Sie war geschieden, weltgewandt, lebenserfahren - und eine ausgesprochen attraktive Frau. Ein bisschen fühlte sie sich mir gegenüber als Mutter-Ersatz. Aber

ich hatte bereits eine Mutter, und so war Elzbieta lange Zeit meine beste Freundin. Dass wir es heute nicht mehr sind und uns schon vor langer Zeit aus den Augen verloren haben,

ist eine traurige Geschichte, die weniger mit ihr oder mit mir zu tun hatte - und die ich hier auch nie erzählen werde. Es ist nämlich auch eine Geschichte von heute unvorstellbaren Außenwirkungen, die am Ende mehr Kraft hatten als die innere Verbundenheit. Es gibt nichts zu

verzeihen, und ich denke immer sehr gern und in Verbundenheit dieser früheren Zeiten an die gebürtige Polin Elzbieta zurück. Und an ihre damals

große Liebe Erwin.

Denn es geht hier nicht um Liebesbriefe an, sondern für Elzbieta.

Erwin war Augenarzt, ihr Freund, und er ging damals - geplant waren ein, zwei oder höchstens drei Jahre - an eine Klinik in Boston/USA, um seine Weiterbildung voranzutreiben.

Elzbieta vermisste ihn genau so wie er sie vermisste. Damals gab es noch keine sozialen Medien, über die man heute jederzeit und in allen Lebenslagen Kontakt miteinander halten - und sich sogar beim Telefonieren Auge in Auge gegenübersitzen kann.

Sie telefonierten oft. Aber natürlich ging das damals gehörig ins Geld. Und Elzbieta fand es auch nachhaltiger,

ihm Briefe zu schreiben.

Nun sprach und schrieb sie einwandfreies Deutsch - also fast einwandfrei, wobei die kleinen Fehler eher charmant wirkten.


Schreib' du mir bitte einen Brief

bat sie mich, da sie eher poetische Zeilen Richtung Boston schicken wollte ...

Das war mein Beginn und mein einziger, natürlich unbezahlter "Job" als Liebesbriefschreiberin, denn nachdem sie mir den gewünschten Inhalt beschrieben hatte,

setzte ich mich hin und versuchte mich an einem herzigen Brief für Elzbieta. Den sollte sie später abschreiben - und nicht vergessen, ein paar Fehler einzubauen ... die er auch aus ihrem Vokabular kannte.

Weil ihr - und vor allem Erwin - der erste Brief so gut gefiel, verfasste ich weitere.

Dabei sind Liebesbriefe nicht wirklich etwas, was ich gern schreibe - aber für die beste Freundin macht man ja auch schon mal Handstände und Gedankensprünge.


Der ferne Freund

Es verging ein Jahr, es vergingen zwei Jahre - und noch immer verfasste ich eifrig und regelmäßig Liebesbriefe. Unterdessen

flog Elzbieta viele Male in die USA, um ihn für einen längeren Zeitraum - na ja, für manchmal etwa 4 Wochen, und wenn es mit dem Jahresurlaub eng wurde auch mal nur für eine Woche  - zu besuchen. Er selber kam

nicht zu Besuch.

Erwin kam auch nicht nach Deutschland zurück. Er lebt vermutlich noch heute in den USA.

Damals wollte er, dass Elzbieta zu ihm nach Boston zieht. Aber

irgendetwas stimmte da bereits nicht mehr mit ihrem einst so tiefen Gefühl für ihn.

"Er ist in meinen Augen zu amerikanisch geworden", erklärte sie mir die Trennung von der ehemals großen Liebe,  "ich verstehe ihn nicht mehr ..."

Es fand natürlich ein viel längeres Gespräch zwischen uns beiden über diese Trennung statt, aber hier geht es ja nur um

die Liebesbriefe.

Gibt es heute noch Menschen, die einander Liebesbriefe schreiben - anstelle von Kurznachrichten? Gibt es noch Menschen, die auf einen Liebesbrief hoffen, warten ...?

Ich habe keine Ahnung. Aber so nüchtern kann die Welt und können Beziehungen eigentlich nicht sein - so dass jeder sich über einen persönlichen, handgeschriebenen Brief freuen würde ... Oder?

Schreibt mal wieder einen Brief. Es muss ja kein Liebesbrief sein. Aber er sollte handgeschrieben sein.


Guten Tag, Gruß Silvia



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