Samstag, 17. Oktober 2020

17. Oktober 2020 - Ich bin ein heimatloser Hund

 

Paul ist nicht heimatlos, er dient nur als Symbol-Foto

Aus der Sicht eines Streuners

Ich bin ein heimatloser Hund

Schon als ich jung war, traten die Leute mich mit Füßen, aber ich konnte den meisten dieser demütigenden Ausfälle menschlichen Handelns  aus dem Weg gehen. Damals war ich noch schnell und wendig und gesund. Heute bin ich alt und sicher nicht mehr gesund,

aber kein Tierarzt hat sich je meiner diversen Wehwehchen angenommen, weil es niemanden kümmerte, ob ich gerade humpelte oder ein entzündetes Auge hatte oder mit einem gekrümmten Rücken schmerzlich meiner Wege ging.

Auf den Straßen haben wir Streuner uns mehr oder weniger um die Lebensmittel gekloppt, die herumlagen. Eher fanden wir Plastik oder weggeworfene Zigarettenkippen ... die jede Hoffnung auf einen gefüllten Magen zunichte machten.

Niemals besaß ich ein warmes Bettchen oder gar ein Dach über dem Kopf, das mich in sich einkuschelte. Manche von uns sind in harten Wintern auf den Straßen erfroren. Und andere wurden von Tierquälern totgeschlagen. Sie hatten keine Chance, sich zu wehren ... weil sie vom Leben auf den Straßen geschwächt und in ihrer Hoffnungslosigkeit längst erstarrt waren. Instinktiv dachten vielleicht viele von uns:

Lass es bald vorbei sein! Das Leben!

Nun bin ich schon sehr alt. Ich kann das nicht in Jahren beziffern, aber an den endlosen trostlos aneinander gereihten Tagen kann ich abschätzen, dass es nicht mehr viele sein werden, die nun noch folgen.

Wie schön wäre jetzt am Ende eine liebevolle menschliche Hand, die mich mit zu sich nach Hause nimmt, mich füttert, ohne dass ich das Futter verteidigen muss, mir ein paar Streicheleinheiten gibt und mir beweist, dass nicht alle Menschen böse sind.

Aber ich habe kein Vertrauen mehr. Will mich jemand mitnehmen, würde ich um mich schlagen. Die Jahre auf den Straßen haben mich zermürbt.

Ich bin ein heimatloser Hund, und als solcher werde ich sterben. Irgendwann findet mich die Müllabfuhr und entsorgt mich - genau so, wie sie jeden Müll entsorgt, der diesen Namen wirklich verdient hat.

Aber  ich bin kein Müll.
Ich bin ein fühlendes Wesen.

Und wer nach mir tritt, tritt nach Gottes Gedanke über eine friedliche und schöne Welt. Ich habe die nie kennen gelernt.

Ich kenne aber die Abgründe.
Ich kenne den Hunger.

Manchmal gehen die Streuner-Geschichten besser aus als meine, denn mein Leben ist bald vorbei. Und damit nicht irgendwer meinen

toten Körper findet,

verziehe ich mich nun tief in einen Wald. Dort werde ich sterben. Und am Ende wieder Eins mit der Natur. Meine Augen haben in viele Abgründe gesehen, ich bin müde.

Verzeiht mir mein Klagelied. Ich will und wollte nie Mitleid, sondern nur

Liebe, Verständnis, Geborgenheit ... das, was jeder sich wünscht.

Ich war der Streuner, den die Vorübergehenden verachtet haben.

Guten Tag, Gruß Silvia 


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