Beinahe wäre der vielleicht beste Krimi des Jahres ungesehen an mir vorbeigerauscht. Denn zu all den Vorab-Lorbeeren kam mir in den Sinn, es könnte sich womöglich um einen intellektuellen Höhenflug in gleichzeitiger Ballermann-Atmosphäre handeln. Und wenig unterhaltsam, sondern verkrampft sein. Fast fünfzig Tote in einem einzigen Krimi (das ist ja mehr als die Wochen-Ration!) können einen schon verschrecken - wie es derzeit nur die Nachrichten schaffen.
Von surrealen Bildern und Verdi- und Wagner-Musik stimmungsvoll unheilvoll verdichtet, bewegt sich wie ein Scharlatan erster Güte ein Erzähler durchs Bild oder Off. Er dramatisiert das Geschehen und verlängert so den Handlungsstrang.
Kommissar Felix Murot trifft nach dreißig Jahren seinen damals besten Freund wieder. Sie lebten mit einer Frau in einer Dreierbeziehung, die sich im Nachhinein als unheilvoller herausstellt, als es die fröhlichen erotischen und eifersuchtsfreien Rückschau-Bilder jemals vermuten lassen würden.
Es gab selten in einem Tatort soviel Nähe zu einem Ermittler. Eigentlich liegt seine Seele blank und schutzlos vor dem Zuschauer - und man fragt sich, ob er nicht doch wieder an einem Gehirn-Tumor leidet - und alles nur träumt. Besser wäre es teilweise.
Der abgrundtief böse Plan des ehemaligen Freundes Harloff gipfelt in der Absicht, dass der Kommissar seinen eigenen Sohn erschießen soll. Von dem er gar nicht wusste, dass es sein Sohn ist. Ulrich Mathes, der den finstersten Killer, den ich jemals in einem Tatort gesichtet habe, spielt, ist mit Abstand der beste Schauspieler. Man möchte ihm nicht im Dunkeln begegnen, doch auch nicht im Licht ...
Am Ende kommt die große Wut: Es wird geballert, was die Knarren hergeben - und eine ganze Riege von Schauspielern und Statisten sterben einen Zeitlupen-Tod. Dazu gibt es "Überall auf der Welt blühen Rosen". Mag schon sein, aber an diesem Ort blüht gar nichts mehr.
Dieser Tatort hätte auch unter einem anderen Label im Kino präsentiert werden können, doch als Tatort firmierend erreicht man eben die meisten Zuschauer.
Ich bin sehr froh, mich in letzter Minute doch noch fürs Zuschauen entschieden zu haben. Die folgenden Tatorte werden es schwer haben, mitzuhalten.
Guten Tag, Gruß Biene
Hey, mir ging es ganz genauso. Nutze ich den Tatort sonst eigentlich nur als kuschelige mentale Sonntagsschlafdecke, so saß ich gestern, vom ersten Wort des genialen Erzählers an, mit offenem Mund vor diesem spektakulösen Theater.
AntwortenLöschenVon Anfang bis Ende grandios geil! Und dieser Dreh, die ganzen Toten am Schluß noch einmal auferstehen zu lassen, diese Bilder, diese Musik, diese endlich mal ruhige Kamera, was für ein tolles Erlebnis.
Ich sage ganz bewußt nicht "mehr davon", das war nämlich einzigartig. Ich hatte schon fast vergessen, welche Faszination richtiges Theater haben kann.
Geplättet grüßt Susi
Ja, genau: Gruppenbild mit Toten. - Das war wirklich alles grandios, wie du sagst. Gruß Silvia
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