Die Nacht des Grauens
In der Küche von Helga Beimer saß die schwer depressive Helen Dorn und ließ sich ein paar Spiegeleier von der Mutter der Nation servieren. Was Helga selber immer half, es versetzte Helen in keine bessere Stimmung. Es war nicht klar, warum es Helen einst die Petersilie verhagelt hatte, aber irgendwas stimmte mit ihr nicht. Dieser tief traurige Blick ließ Helga an Halloween denken, an finstere Gestalten mit finsteren und abwegigen Gedanken. Und in ihr keimte die Idee an eine richtig stimmungsvolle Party mit lustigen Gästen, die Helen aufheitern könnten. Ihr fiel auch der stets gut gelaunte Pathologe aus Münster ein, den sie auf einem roten Teppich kennen gelernt hatte, wie das so üblich ist zwischen Hausfrauen und exzentrischen Medizinern. Dem war nichts und niemand heilig. Hoffentlich kam ihr keine frisch eingetroffene Leiche in die Quere. Egal, sie würde ihn anrufen und einladen.
Hans würde es verstehen - Helga hatte schon immer den Drang gehabt, den Armen und Traurigen zu helfen. Erich gingen ja manchmal ihre Übermutter-Anwandlungen gehörig auf die Nerven, aber im Endeffekt fügte er sich: Ob es sich um vom Wege abgekommene Enkelinnen handelte oder um die Kinderschar ihres ehemaligen Hansemannes, für die sie Sorge trug und denen sie ihre Mütterlichkeit aufdrängte.
Nachdem Helen versprochen hatte, zur Halloween-Party zu kommen (sie dachte, das entspräche genau ihrem Wesen), machte sie sich auf den Weg nach Hause. Und sogleich griff Helga zu Blatt und Kuli, um eine Liste zu erstellen, wen sie noch zur Aufheiterung der Kommissarin einladen könnte.
Es musste eine Party zur Desensibilisierung von Depressionen sein, und da kamen nur die verrücktesten Leute als Gäste in Betracht: Doch wer war in der Lindenstraße eigentlich nicht auf die eine oder andere Art verrückt? Dr. Dressler, der sich in alles einmischte und so manch einen manipuliert hatte? Der wollte aber nicht mit Robert Engel zusammen treffen. Olli Klatt, der komplett einen an der Klatsche hatte, war wohl ohne Ressentiments anderen gegenüber - er war absolut schmerzfrei, was immer auch passierte. Aber ob sich Lisa und Murat mit ihm in einer Wohnung aufhalten könnten? Egal, wenn Blut floss, so war ja gleich eine Ermittlerin anwesend und ein Pathologe, der die Feinarbeiten am Leichnam übernehmen konnte.
Und zu Halloween durften alle ruhig einmal im Schrecken verharren, vor Angst erstarren und sich an die Köpfe kriegen, Hauptsache Helen Dorn würde ihr Lachen wieder finden. Sie telefonierte noch am selben Abend mit Professor Boerne, um ihn einzuladen. Und der Pathologe der Herzen und flotten Sprüche war Feuer und Flamme, einmal in die Lindenstraße einzulaufen. Es war schon lange sein Wunsch gewesen, dort Gast zu sein. Die Lindenstraße war ja älter als die deutsche Einheit. Und das völlig ohne permanente Einigkeit unter den Bewohnern.
In den nächsten Tagen sprach Helga mit allen anderen, die sie gern auf ihrer Party hätte. Ein paar Kleinigkeiten verschwieg sie dabei dem einen oder anderen. Zum Beispiel ein paar der anderen Gäste auf der Liste. Manchmal bedurfte es eben einer List. Doch ihre Liste wurde immer umfangreicher, und es waren viel zu viele, um sie in ihrer Wohnung zu bewirten. Schnell musste mit Vasily ein Deal gemacht werden, der sein Lokal zur Verfügung stellen sollte. Der war auch noch begeistert von der Idee, die Lindensträssler mal wieder zusammen zu bringen. Wie einst bei den Hochzeiten. Und es hatte so lange niemand mehr geheiratet in dieser Straße. Mit Helga besprach er ein Menü für den Abend: Und alles würde wie Blut, Blutwurst und Totenköpfe aussehen. Vielleicht noch ein paar Spinnenweben, damit die Spinnen der Straße sich darin verfangen konnten.
Helen Dorn hätte beinahe noch abgesagt, weil sie mitten in einem schwierigen Fall von Blutrunst steckte, der noch lange nicht aufgeklärt war - doch Helga konnte sie mit viel Quatschkunst überreden, sich mal einen Tag Auszeit von all dem Schrecklichen in ihrem Leben und Beruf zu nehmen.
Der Professor reiste nicht nur pünktlich an - er brachte auch Kommissar Thiel und Frau Haller mit: Er meinte, die beiden gäben die natürlichsten Figuren zu Halloween ab, die man sich vorstellen konnte. Er selber klebte sich nur zwei Hörnchen an - und schon sah er aus wie der Teufel persönlich. So schnell können sich manche in Ungeheuer verwandeln.
Jack, die seit kurzem ohne viel Geld, dafür aber von nachhaltig gezogenem Gemüse lebte, erschien als welker Wirsing. So ein Leben, befreit von der Sorge um den täglichen Mammon, ließ gehörige Sorgenfalten sprießen. Lisa kam als Lisa, sie brauchte keine weitere Verkleidung als ihre böse Miene. Und Murat hatte sie am Hundehalsband ins Jubel-Trubel-Heiterkeit-Geschehen gezerrt. Robert Engel erschien als Tablette, die einen Fliegenpilzhut trug. Hans Beimer wollte erst gar nicht erscheinen, weil er seinen Baby-Sohn Emil nicht allein lassen konnte - doch als seine ehemalige Taube auch dafür eine Lösung fand, erschien er als Vater Abraham. Bei seiner Kinderschar keine große Arbeit, denn so durch die Mangel gedreht, sieht nur einer aus, den die Kinder jahrelang um Geld und Nachtruhe gebracht haben. Andy Zenker, der im Laufe der Jahre immer finsterer wurde und den ehemaligen Frauenfreund in seinem Wesen völlig verloren hatte - kleidete sich in Lumpen und setzte sich eine gar schreckliche Nase über die eigene. Seine Gabi gab die Brezel, das war nun mal ihre Natur. Eine Bäckerin der Herzen.
Schnell fanden sich auch die anderen illustren Gäste aus der Lindenstrasse ein, und man sah Ungeheuer und ungeheuer bunt gekleidete wie Karsten Flöter und seine(n) Käthe. Dr. Dressler gipfelte als Waage der Gerechtigkeit und Gung schob ergeben wie immer seinen Rollstuhl. Seitdem Gung nicht mehr bei der Post arbeitete, verkleidete er sich auch nicht mehr.
Bei blutrotem Wein kam die Feier schnell in Gang. Der nervöse Exzentriker Boerne umkreiste die Gesellschaft - und blieb in der Tat an Helen Dorn hängen. Die beiden kamen sich irgendwie bekannt vor, wollten aber dann doch nicht diese Bekanntschaft vertiefen. Sie verstand seinen Humor nicht und er nicht ihre tief sitzende Qual. Die flotte Lisa sagte ihm wesentlich mehr zu, doch von Kommissar Thiel bekam er schnell noch den Hinweis, sich vor Bratpfannen zu hüten. Wenn da eine im Wege liegen würde ... könnte es schlecht ausgehen für den Professor.
Dr. Dressler knöpfte sich Robert Engel vor, der seinerseits munter Pillen verteilte und mit der Hexe Angelina in der Küche verschwand, um ein Süppchen einzurühren. Das auszulöffeln, würde allen schwer im Magen liegen.
Während dessen hatte jemand Momo kopf-kastriert, denn ratsch, ratsch - flogen ein paar seiner Rasterlocken durch die Gegend und erschreckten die gute Helga Beimer, die keinen Unrat duldete. Erich fasste sich an sein Ersatzherz - und beseitigte die jahrelang gezüchteten Locken mit spitzen Fingern. Lea, die eine liebliche Fee gab, musste letztlich Erich gegenüber zugeben, diesen Anschlag auf den Kahlschlag verursacht zu haben.
Gabi Zenker flirtete mit Tanja Schildknecht, bis der Regisseur der Sendung rief, dass er den Durchblick verloren habe und sich gleich aus den Kulissen stürzen würde. Doch nicht genug der Vorfälle, denn Karsten Flöter und Hans Beimer ritzten sich die Arme auf und wurden Blutsbrüder, jetzt und für immer. Und Murat nahm sich der armen Helen Dorn an und weinte mit ihr eine Runde über das Leben und die Fernsehserien. In all dem wirbelte fast unbemerkt Alberich herum, bis sie in den Armen von Kommissar Thiel landete, der ihr ohne Umschweife erklärte, er werde ihr von nun an den Hof machen - er müsse sich nur noch einen Besen besorgen.
Und plötzlich ging die Tür auf, und da stand sie: Die Frau mit der Schürze, dem Besen und der Kodderschnauze und rief so laut sie konnte:
SODEM und GOMERRA! - Vor Schreck fielen einige in Ohnmacht, andere schienen noch weiter weg zu sein, Else Kling hier wieder zu sehen. Wer es überlebt hat und ob überhaupt einer die Auferstehung heil hinter sich gebracht hat, das werden die sehen, die die Gruselnacht überleben.
Schreckliche Grüße von Biene
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Hat jemand in den Pilz gebissen? Oh je? |