Samstag, 18. Juli 2020

18. Juli 2020 - Das alte Foto


Das alte Foto

Auf dem Foto bin ich vielleicht ein Jahr alt, vielleicht ein paar Monate älter. Jeder hat sicher solch ein Foto von sich. Neben mir kniet meine Mutter und ist somit auf Augenhöhe mit mir, auf ihrer Hand balanciert eine Taube, meine linke Hand umarmt meine Mutter.  Wie kam die Taube in die Restaurant-Küche?

Denn in einer solchen wurde das Foto aufgenommen: In der Restaurant-Küche des Lokals von guten Freunden meiner Eltern.

Mit großen Augen sehe ich in die Kamera - oder besser gesagt, auf den Fotografen des Bildes. Aber wer hat es fotografiert? Ich war noch derart klein,

dass ich mich heute nur über das Foto überhaupt an etwas erinnere, eine wirkliche Erinnerung habe ich nicht an diesen Tag, als dieser innige Moment festgehalten wurde. Das Foto war eines der vielen aus dem Nachlass meiner Mutter.

Ich frage mich, ob der mir kleinem Mädchen gegenüber stets eifersüchtige Langhaardackel Waldo auch in der Nähe war, oder ob man ihn nach einer Beißattacke von mir ferngehalten hat?

Was denke ich in diesen Momenten, an diesem Tag? Kann man bereits weit denken, wenn der Wortschatz noch ein ganz kleiner ist? Fühlt man mehr seine Gedanken als sie in Worte zu kleiden? Geht das überhaupt: Gedanken fühlen, ohne die Worte dafür zu kennen?

Sicher versteht man in diesem Mini-Alter bereits mehr Wörter als man selber aussprechen kann.

Es gibt eine Menge solcher Fotos, die mich an ein Alter erinnern, das ich selber so überhaupt nicht erinnere.

Selbst meiner allerersten wirklichen Erinnerung folgten nicht zwangsläufig gleich viele dieser bewussten Rückblicke.

Meine 1. Erinnerung: Waldo hat mich gebissen. Daran erinnere ich mich allerdings nicht. Das hat man mir später erzählt. In der Rückschau auf dieses Ereignis sehe ich nur meinen Vater, der mich in eine Decke wickelt und zum Arzt rast. An den Arzt erinnere ich mich auch nicht, jedenfalls nicht aufgrund des Hundebisses,

sondern, weil ich ihn aus späteren Jahren kenne.

Hätte mich eine allererste Erinnerung, ausgerechnet an einen Hundebiss, eigentlich zu einem anderen Menschen gemacht?

Ich glaube nicht.

Und ich muss Waldo noch oft gesehen haben, denn an ihn erinnere ich mich. Vermutlich hatte er irgendwann seinen Frieden mit mir geschlossen.

Es sind viele Vermutungen ... wenig wirkliche Gedächtnisleistungen, auf die ich aus dieser frühkindlichen Zeit zurückblicken kann.


Guten Tag, Gruß Silvia

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen