Freitag, 10. Juli 2020

10. Juli 2020 - Bienchens Geschichte - 23. Teil


Ein seltsames Anliegen

Paul wollte alles über meine Bekannte erfahren.

Ein geeignetes Gesprächsthema, wenn es überhaupt eines gegeben hätte,  für den Tag der Beerdigung seiner Lebensgefährtin hätte meiner Meinung nach völlig anders ausgesehen. Ich hätte ihm - und trotz allem - auch gern zugehört, wenn er mir etwas aus seinen Erinnerungen mit ihr erzählt hätte.

Wie ich die beiden miteinander erlebt hatte, führten sie eine durchaus gute Beziehung. Natürlich habe ich beide nicht wirklich gekannt, aber dem äußeren Anschein nach war zwischen ihnen alles in Ordnung. Da ich jetzt bei dem Wort Ordnung bin ...

muss ich noch einmal erwähnen, dass diese ihnen beiden sehr am Herzen lag. Ihre riesige, 230 qm große,  Wohnung glich einer Musterwohnung, als hätte sie jemand so hergerichtet hatte, damit sie sich gut verkaufen ließ. Alles war pieksauber. Geordnet bis ins letzte Detail.

Das war schließlich  - und vermutlich - auch der Grund gewesen, warum Bienchen allein in der Wohnung meiner Mutter bleiben musste, als sie ins Krankenhaus kam - und bevor ich die kleine Malteserin  mit zu mir nahm. Jeder kleine Schmutzfleck vom süßen Malteserhündchen hätte sie vermutlich beide an den Rand des Wahnsinns gebracht. Das war sicherlich auch der Grund, warum sie ihren eigenen Hund Jahre zuvor aus vorgegebenen Zeitmangel abgegeben hatten. Denn Zeitmangel konnte ich weder dem persönlichen Ansehen noch ihren Erzählungen nach irgendwo sonst entdecken. Es war ein völlig anderer Mangel ...

Ein Mangel daran, mal Fünfe gerade sein lassen zu können - und einem liebenswerten Lebewesen zu verzeihen, dass es Schmutzwolken mit ins Haus bringen könnte.

Allerdings gab es einen Ort, in dem die pingelige Ordnung nicht herrschte: Ich kam während eines meiner Besuche an einer der zwei Garagen vorbei, die recht vollgestopft war. Das erstaunte mich derart, dass ich etwas näher hinsah:

Ich sah einen alten Grabstein.

Ich sah Pauls Freundin C. fragend an. Was um Himmels willen macht jemand mit einem Grabstein in seiner Garage?

Sie antwortete, dass sie Paul diese Horterei in der Garage noch abgewöhnen wollte. Das sei der Grabstein des kürzlich  eingeebneten Grabes seines Bruders. Und Paul hatte den mitgenommen, weil er glaubte, den irgendwann noch einmal gebrauchen zu können ...

Ich frage mich, ob dieser Grabstein - aufgearbeitet - nun auf ihrem Grab steht?


Aber zurück zu Pauls Anliegen

Er wollte alles über meine Bekannte wissen, was ich ihm erzählen konnte. Perplex erzählte ich einiges Oberflächliches. Sie war Lehrerin und in seinem Alter ... das reichte ihm eigentlich bereits. Nach einem Foto fragte er nicht. Ich hätte es ihm auch nur auf dem Postweg zuschicken können - wenn ich überhaupt gewollt hätte. Ich hätte selbstverständlich nicht gewollt. (Zwar besaß ich damals bereits einen Laptop, aber ich habe ihn so gut wie nie genutzt).

Offenbar vertraute er mir, dass sie kein Quasimodo in weiblicher Ausführung war.

Und er fragte mich, und das allen Ernstes und am Tag der Beisetzung seiner langjährigen Lebensgefährtin,

ob ich ein Treffen arrangieren könnte.

Dieses lasse ich jetzt einfach mal so stehen. Er selber präsentierte sich mir dann noch derart, dass ich auch ihr dieses Treffen schmackhaft machen könnte. Ich hingegen blieb eine Weile sprachlos. Warum habe ich damals nicht

Parship  oder eine Partner-Vermittlung in dringenden Notfällen oder menschlichen Ausfällen ins Leben gerufen? Ich wäre nun ohne Ende reich.


Besser laut drüber lachen als es zu hinterfragen

Natürlich erzählte ich meiner guten Bekannten von Pauls Begehren. Sie wusste ja inzwischen mehr über Paul, als Paul über sie je erfahren würde.

Vor solch einem ungeheuren Vorschlag an einem völlig unpassenden Tag ... konnte man einfach nicht vernünftig reflektieren.

Wir haben also darüber gelacht. Auch noch Jahre später war das oft genug für uns ein Anlass für einen Lacher.

Selbstverständlich hat Paul sie nie kennen gelernt.


Fortsetzung folgt
Copyright Silvia Gehrmann


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