Teil 1
Der Obdachlose
Daniel sah besorgt auf seine kleine Malteser-Hündin "Susi", die mit ihrem leichten Haarkleid bereits unter der beginnenden Oktober-Kälte litt. Besonders schlimm war es in den Nächten, in denen er sie zwar mit seinem Körper und in ein paar Decken gewickelt wärmte, aber er wusste, dass sie einen Winter hier nicht überleben würde. Aber auch die Tage, an denen er versuchte, sie fit und munter zu halten, setzten ihr mehr und mehr zu. Seine kleine Hündin, die treueste Begleiterin seit 10 Jahren, schwächelte. Es war, als wäre ihr die frühere Lebensfreude, die noch vor ein paar Monaten vorhanden war, völlig abhanden gekommen. Sie war nicht mehr die lustige kleine Gefährtin, die über Pfützen sprang und sich mit anderen Hunden vergnügte.
Daniel war klar, dass er handeln musste. Einen Winter auf der Straße würde Susi nicht überstehen, und wenn, dann nur schwerkrank. Er kaufte ihr das liebste Leckerchen, das sie kannte - aber sie schnappte nicht mehr gierig danach, sondern verspeiste das Roastbeef mit langen Zähnen. Sie frisst es nur mir zuliebe, dachte er.
Dann machte er sich auf den Weg zum Tierheim. Für ihn glich das dem Kreuzweg, dem letzten Weg zu einer Hinrichtung - nicht zu einer tatsächlichen, aber zu der seiner Seele. Susi zitterte. Später wusste Daniel nicht mehr, wie er das Tor zum Tierheim geöffnet hatte und dann ins Büro gelangt war. Mit dem obligaten Mund-Nase-Schutz natürlich. Seiner war so schmutzig wie seine übrige Kleidung. Er, der noch bis vor ein paar Monaten so viel Wert auf saubere Eleganz gelegt hatte, war völlig abgerissen. Neben der Auffälligkeit seiner Kleidung bemerkte die Tierheim-Mitarbeiterin nicht seine Trauer und seine große Verzweiflung. Immerhin verstand er sein Handwerk als Schauspieler und zudem schämte er sich, sie in fremde Hände geben zu müssen. - Er gab Susi nicht ab, weil sie ihm lästig geworden war. Er wollte, dass Susi den Herbst und Winter überlebte. Sie war keine Straßenhündin. Sie war der größte Schatz seines verpfuschten Lebens, und daher musste er ihr diese Chance auf einen warmen Ort einräumen.
Gerne hätte er Susi nur zur Herbst-Winter-Pflege abgegeben, aber die täglich anfallenden Kosten konnte er sich nicht leisten.
Die vielen an ihn über Susi gestellten Fragen beantwortete er wahrheitsgemäß und mit einem Tränenschleier vor den Augen.
Danach
Bislang hatte er dem Drang, sich die Zeit auf der Straße mit Alkohol zu vertreiben, widerstanden. Alkohol war auch früher nie sein Problem gewesen. Er trank hin und wieder ein Gläschen, aber nur zu besonderen Anlässen.
Die Abgabe Susis war ein ganz besonderer Anlass, und zwar ein fürchterlicher. Er gönnte sich eine Flasche Fusel und trank und trank, bis er in einen traumlosen Schlaf versank.
Davor
Daniel war Schauspieler. In seinen ehrlichen Momenten wusste er, dass er kein überragendes Talent hatte, sondern im Durchschnitts-Teich dümpelte. In Momenten, da er für einen Film engagiert worden war, bestach er durch seine Arroganz und hielt sich für einen großen Star. Nach den TV-Ausstrahlungen ging er durch die belebte Innenstadt, um angesprochen zu werden. Seltsamerweise erkannte ihn nie jemand - oder ignorierte den "Star".
Die Engagements waren im Laufe der Jahre meistens im unteren Bereich der Überlebensfähigkeit sichernden Gagen angesiedelt. Er dümpelte von einem zum anderen Auftrag, und dazwischen lagen oft lange Zeiten der Dürre. Insgesamt jedoch hatte er stets genug zum Leben, wenn auch ohne Luxus. Er hatte viel Zeit für sich - und für Susi.
Dann kam Corona und machte Knall auf Fall die Welt zu einem leiseren Ort. Für manche wurde es sogar zappenduster.
Daniel erging es nicht besser als Millionen anderen Menschen. Selbst die kleinen Werbeclips, die ihm immer geholfen hatten, mit dem Kopf über Wasser zu bleiben, wurden auf unabsehbare Zeit gecancelt. Ein weiteres persönliches Desaster für Daniel war, dass
seine geliebten und gleichermaßen gehassten Spielcasinos schließen mussten. Er konnte nun auch seiner Sucht kein Futter mehr geben.
In einer großen Schublade sammelte er Briefe, die er ungeöffnet dort untergebracht hatte, als würden sie ihm die Freude machen und dort wie von Zauberhand verschwinden. Sie verschwanden natürlich nicht. Im
März 2021 stand ein Gerichtsvollzieher vor der Tür und hatte einige Möbelpacker mitgebracht, denn auch seine Miete hatte Daniel seit Monaten nicht bezahlt. Die darauf hinweisenden Briefe brannten in der Schublade, aber er hatte jede Warnung an sie ignoriert.
Daniel und Susi landeten nebst ein paar persönlichen Habseligkeiten auf der Straße.
Fortsetzung folgt
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