In Erinnerung an Elisabeth
Besuche im Altersheim
Ich erinnere mich an die erste große Fahrt durch die ehemalige DDR in 1993 und daran, wie erstaunt ich war, dass ich hier und da ein Haus sah, das sich Feierabendheim nannte. So hießen die Heime bei uns im Westen nicht, aber dieser Begriff hat sich eingebrannt ... ohne dass ich erklären könnte, ob mir der überhaupt gefällt oder eben gar nicht gefällt. Ein bisschen Moder klebte natürlich damals bereits an dem Begriff.
Eine Freundin, Monika, die ich über unsere Hunde kennenlernte, hatte ihre demenzkranke Mutter lange bei sich zu Hause gepflegt, bis dies aus vielerlei Gründen - auch aus der der Eigengefährdung der Erkrankten - nicht mehr möglich war. Schweren Herzens musste sie ihre Mutter in einem Altersheim unterbringen. Im Fall von Elisabeth, so hieß ihre Mutter, war es ein schönes am hiesigen Innenhafen: einem kleinen Wohn-Schlafraum schloss sich eine Mini-Küche und ein recht großzügiges Badezimmer an. In der Küche konnte der jeweilige Besuch Kaffeekochen oder einen Snack zubereiten.
Das Heim wurde nun bis zu ihrem Tod der Feierabend-Ort für Elisabeth. Ja, was ist das für ein Feierabend, an dem man die Tage nicht mehr von den Monaten oder Jahren unterscheiden kann - und manchmal auch nicht die Menschen voneinander? Aber Elisabeth war meistens guter Laune - manchmal begleitete ich Monika zu ihren täglichen Besuchen bei ihrer über alles geliebten Mutter. Wir liefen dann zu Fuß mit ihrem Hund "Racker" und meinem "Robin" zum Heim, kochten einen Kaffee und bespaßten ihre Mama. Am meisten Freude machten ihr die beiden Hunde - und wenn im Fernseher eine Musiksendung lief. Gut, ich musste bei ihren entsprechenden Lieblings-Sendungen schon mal die Ohren auf Durchzug stellen - aber immerhin konnte ich nach einer Weile dieser Situation wieder entfliehen und in mein normales Leben zurück.
Das war für Elisabeth nicht denkbar. Hier war ihre Endstation. Zum Glück hatte sie keinerlei Ahnung davon.
2 Wochen Vertretung
Eines Tages fragte Monika mich, ob ich für zwei dringend von ihr benötigte Urlaubswochen vertretungsweise die täglichen Besuche bei ihrer Mutter übernehmen würde - und ich war sofort einverstanden. Gutes Karma kann doch jeder brauchen, und etwas auf der Positiv-Liste haben, kann nie schaden. Nein, Spaß beiseite - es war kein Problem.
Immerhin "kannte" Elisabeth mich - oder zumindest in manchen Momenten. Zu unterschiedlichen Tageszeiten übernahm ich also die täglichen Besuche. Mal holte ich sie aus einem Friseurladen ab, und sie merkte durchaus eitel, dass man sie dort ziemlich verschönert hatte. Mal unterstützte ich sie beim Mittagessen, das in einem kleinen Gemeinschaftsraum auf ihrer Wohn-Etage eingenommen wurde. Man musste ihr nämlich gut zureden, genug zu essen.
Danach ließ sie sich in einem gemütlichen Sessel in ihrem kleinen Appartement nieder und erwartete eine Musik-Sendung im TV. Falls keine im Programm war, gab sie sich auch mit einer Kindersendung zufrieden - oder mit einem lustigen persönlichen Geplänkel. Mal nannte
sie mich "Monika" und mal, etwas seltener, Silvia. Robin war immer nur "Racker", und das, obwohl er kein Dackel wie Racker, sondern ein Yorkshire-Terrier war. Aber wen kratzten diese geringen Unterschiede?
In diesen zwei Wochen hätte ich gern glauben können, dass Demenz nur eine kleine nichtige Randerscheinung und unbeträchtlich für die Betroffenen ist, denn Elisabeth war durch die Bank gutgelaunt, nicht aggressiv, nicht depressiv - einfach nur alt, vergesslich und ein wenig mehr als es alte Menschen üblicherweise sind, kindisch.
Aber das war die eine Seite - die andere lernte ich an ihr nie kennen. Sie hatte also die guten Tage - und nicht jene, die wirklich erkennen ließen, wie schwer eine Demenzerkrankung für alle, die Betroffenen selber und deren Angehörige, sein kann.
Kleine Anekdoten am Rande
Mittlerweile kannten mich die alten Herrschaften, die auf Elisabeths Etage lebten: und sie kannten vor allem Robin, den manche heiß und innig in ihr Herz geschlossen hatten. Eine sehr alte Frau, die auch noch ziemlich groß war, beugte sich streichelbereit stets so weit zu ihm herunter, dass ich Sorge hatte, sie würde vornüberkippen. Zum Glück passierte das nicht. Meine Hände waren also immer auffangbereit.
An einem dieser Tage kam eine junge Frau zu mir - und fragte mich, ob ich mit Robin ihre Mutter in ihrem Zimmer besuchen würde. Die Mutter hätte früher auch einen Hund gehabt ... und sie sei dement.
Natürlich konnten ich ihr diese Bitte nicht abschlagen. Ob das allerdings eine gute Idee war, wusste ich nicht. Ich schreibe auf, was dann passierte:
die Mutter der jungen Frau war schon ziemlich alt oder kam mir nur so vor. Sie saß in ihrem Zimmer auf einem Stuhl und sah aus dem Fenster. Zunächst bemerkte sie Robin und mich überhaupt nicht. Wir verhielten uns ganz still - und warteten auf eine Reaktion. Die junge Frau sah ihre Mutter erwartungsfroh an. Nach einer gefühlten Ewigkeit reagierte die alte Frau: sie sah mich überhaupt nicht, aber Robin ...
und begann plötzlich, fürchterlich zu weinen ... Die Konfrontation hatte mehr Schmerz als Freude ausgelöst.
Danach
Irgendwann kam Monika aus ihrem Urlaub zurück, und ich begleitete sie hin und wieder zu ihrer Mutter, aber natürlich nicht mehr täglich. Nach ein paar weiteren Jahren starb Elisabeth.
Racker ist ebenfalls inzwischen verstorben. Und mein Robin folgte ihm am 6. September 2019.
Monika war in der Zwischenzeit lange Zeit sehr krank, aber sie lebt noch.
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