6. Teil
Henry, Charlie und Momo
Zwei Wochen vor Charlies Tod war ich mit ihm zur letzten Herz-Ultraschall-Untersuchung in der Tierklinik, und der Arzt hat resultiert, dass die Herzerkrankung meines lieben Charlie nicht tragischer sein könnte - einen Rat, ihn einschläfern zu lassen, gab er nicht. Und wider besseres Wissen bei einer solch dramatischen Diagnose
hoffte ich, ihn noch lange bei mir haben zu können. Anstrengen musste er sich längst nicht mehr, denn nicht erst seit diesem Tag fuhr ich ihn im Hundebuggy durch seine geliebte Welt, die er nun aus der gemütlichen Position von hoch oben betrachten konnte. Keiner seiner Spaziergänge fiel aus oder wurde verkürzt, nur, weil er nicht mehr selber wirklich gut laufen konnte - denn alles sollte so sein wie immer, und ich fuhr ihn gerne und völlig ohne ein zeitliches Limit zu setzen. Ich würde ihn
heute noch fahren, um seinem Traummaterial Futter zu geben.
Aufmerksam, wissbegierig und alles um sich herum aufsaugend betrachtete er aus seinem komfortablen Gefährt heraus diese seine Welt.
Lange Zeit war er gern mit Henry um die Wette gerannt, voller Lebenslust und dem Drang, alles Schöne auszukosten. Aber er fügte sich auch in seine nun stiller und ruhiger gewordene Welt ... und
Henry war so zufrieden mit Charlie wie dieser eben war: er musste keinen Hand- und Kopfstand machen, um mit Henry befreundet zu bleiben.
Die beiden blieben bis zum Schluss die besten Freunde: Charlie könnte Henry ein wenig wegen seines Übermutes bewundert haben und war vielleicht darum sein Fan. Henry seinerseits könnte Charlie wegen seiner tiefen Gelassenheit bewundert haben, die er irgendwann auch erreichen will. Wer weiß das schon so genau?
Doch: wie sieht es in einem Hund aus, der plötzlich seinen vorher guten Freund n i e wiedersieht? Dass Tiere trauern, ist gewiss,
aber es könnte eine andere, uns Menschen nicht so vertraute Art sein, die sich nicht in Jammern und Selbstmitleid oder Frustrationen äußert, sondern
in einem Weitermachen stattfindet - ganz im Sinne des zu Betrauernden.
Rein äußerlich war Henry keine Trauer anzumerken.
Aber das bedeutet nichts. Wann auch immer er seinen Freund wiedersehen würde, er würde ihn unter vielen anderen sofort erkennen - nur werden sich die beiden in diesem Leben nie wiedersehen.
Für mich war es wichtig, dass Charlie vor seinem Tod so viele Eindrücke wie möglich mitnehmen konnte. Ein Besuch im Zoo war geplant (der war gerade wieder für hündische Besucher freigegeben, weil die besucherarme Zeit angebrochen war), aber das ließ sich nicht mehr verwirklichen.
Ein Zoobesuch ist sicherlich nicht für jeden Hund ein willkommenes Ereignis, aber für den in sich ruhenden Charlie wäre es ein Lebens-Highlight gewesen ... er hätte ohne Ende gestaunt.
Einen Gang zum Weihnachtsmarkt konnten wir noch mitnehmen - und: das war natürlich für Charlie kein Spießrutenlaufen durch viele fremde Beine, sondern ein Logenplatz in seinem Buggy auf einer kleinen Anhöhe, von der aus er die
Menschen und andere Hunde beobachten konnte.
Er war an diesem Nachmittag ein wirklich glücklicher Hund, der Freude daran hatte, an den Leben anderer Anteil zu nehmen,
während sein eigenes Leben genau 8 Tage später endete.
Selbst an unseren letzten sehr langen Spaziergängen am 11. Dezember 2022 - es war ein Tag vor seinem Tod - war er aufmerksam und erfreut über all die Dinge und Menschen und Hunde, die er unterwegs gesehen hat.
Ich wollte diesen Tag ganz allein mit Charlie genießen, denn auch ich ahnte, dass die Anzeichen, dass er "gehen" wollte, bald unübersehbar sein würden - und ich ihm dabei helfen musste, über die Regenbogenbrücke zu gehen.
"You were my favorite Hallo - and my hardest Goodbye".
Fortsetzung folgt
Guten Tag, Gruß Silvia
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