Samstag, 13. November 2021

13. November 2021 - Mehr über meine Oma Josefine

 
Das Foto ist mehr als 100 Jahre alt - meine Oma ist das zweitjüngste Kind ihrer Familie.
Es ist vom Original abfotografiert und natürlich unbearbeitet.





Mehr über meine Oma Josefine

Am 27. August 1902 wurde meine Oma Josefine in Dortmund in eine mädchenreiche Familie geboren. Über ihren einzigen Bruder weiß ich leider gar nichts ... manchmal hat man zu Lebzeiten seiner Großeltern

(ich hatte allerdings nur diese eine und einzige und einzigartige Oma)

das Gefühl: es ist noch jede Menge Zeit, um mehr Fragen zu stellen, jede Menge ... ein Trugschluss! Keine Frage auf morgen verschieben!

Selber hat sie nie viel über sich erzählt. Es war ihr zu mühsam oder eher zu qualvoll, sich einerseits eventuell beklagen zu müssen - und andererseits wollte sie nie im Mittelpunkt stehen. Dass sie in meinem Mittelpunkt stand, war trotzdem klar.

Ich kannte natürlich ihre Schwester Linna. Linna war gehörlos, und da damals nicht viel für diese Kinder getan wurde, erschien sie ein Leben lang, als sei sie geistig zurückgeblieben. Auch meine Oma behandelte sie sehr, sehr nachsichtig. - Leider habe ich mich als Kind (später natürlich nicht mehr) oft über Linna lustig gemacht, weil sie war wie sie eben war.

Vermutlich konnte Linna sich nur nicht gut artikulieren und wirkte daher intellektuell ausgesprochen eingeschränkt.

Mit ihren weiteren Geschwistern hatte meine Oma ebenfalls einen regen Kontakt, aber alle starben, bevor sie selber starb. Sie war schließlich das zweitjüngste Kind ihrer Eltern.

Als meine Oma 12 Jahre alt war, brach der 1. Weltkrieg aus.

Welche Entbehrungen und Katastrophen (ich denke, ihr einziger Bruder ist in dem Gemetzel gefallen) der Krieg für sie ganz persönlich mit sich brachte, weiß ich nicht. Sie gehörte - wie geschrieben - nicht zu den Menschen, die viel erzählten oder gar über eigene Befindlichkeiten berichteten oder diese für andere Menschen erreichbar machen wollte. Und ich habe eben den Zeitpunkt verpasst,

um nachzuhaken und eindringliche Fragen zu stellen.

Kaum war der 1. Weltkrieg unter heftigen Menschenopfern überstanden - kam die Pandemie der Spanischen Grippe (1918 bis 1920 - gibt es das Virus heute noch?). Die forderte bei einer damaligen Weltbevölkerung von

1,8 Milliarden Menschen

20 bis 50 Millionen Todesopfer. Es gibt auch Schätzungen, die von 100 Millionen Todesopfern sprechen.



Heirat und Söhne

Wann genau sie Silverius Schäfer, auch aus Dortmund, geheiratet hat, weiß ich nicht: 1923 oder 1924 bekam sie ihren ersten Sohn Johannes, 1928 wurde mein Vater Josef geboren und 1935 mein Onkel Franz. Für ihre Zeit war sie mit der Geburt von Franz sogar eine Spätgebärende.

Es folgten sicherlich ein paar gute Jahre ... bis 1939 der


Zweite Weltkrieg

ausbrach. Dieser wütete natürlich in Dortmund und ähnlich industriell gut aufgestellten Städten besonders drastisch. Im Laufe des Krieges trennte meine Oma sich von ihrem

jüngsten Sohn Franz - und gab ihn für lange, lange Zeit in fremde Hände nach Baden Baden. Dort war er sicherer als in Dortmund.

Ihr Sohn Josef wurde als Kind eingezogen, um als Soldat das kaputte "Reich" zu retten ... lange Zeit hatte sie kein Lebenszeichen von ihm, denn er gelangte in französische Kriegsgefangenschaft.

Sie war noch keine alte Frau ... und hatte bereits so viel erleben müssen. Aber dem Schicksal, wenn man es so nennen will,

reichte das noch nicht:

Ihren Sohn Johannes verlor sie mit gerade mal 21 Jahren (die Geschichten darüber sind widersprüchlich, daher schreibe ich nur: er starb mit 21 Jahren - sicher ist aber, falls das nun jemand vermuten sollte: es war kein Suizid).

Ihr Mann Silverius starb  mit 47 Jahren. Er war Bergmann - und er starb an den Folgen einer Arbeit, mit der er seine Familie versorgte.

Sie wurde wieder ein fröhlicher Mensch, und besonders meine Geburt war ihr größtes Glück: nach drei Söhnen vielleicht nachvollziehbar.


Oma Josefine

hat ohnehin nie den Kopf hängen gelassen. Sie besaß die stoische Mentalität der Westfalen, die sich zur Not immer wieder am eigenen Schopf fassen und auf die Beine stellen.

Ihr Leben war ein sehr bescheidenes, und sie war mir auch darin ein Vorbild: nur habe ich selber diese Bescheidenheit nie erreicht. Vielleicht auch deshalb, weil sie mich zum Teil großgezogen hat - und mich zu sehr in den Fokus gestellt hat, dass ich tatsächlich manchmal geglaubt habe, ich sei wichtig - nicht allein für sie, sondern überhaupt ...

Aber ich nähere mich meiner Oma ein klitzekleines Bisschen an. Und ich tadele mich, wenn ich mal über die Strenge schlage ... etwas, obwohl sie mich nie zur Raison gerufen hat (ein kleiner Fehler ihrerseits).

Sie starb im Oktober 1986 mit 84 Jahren. Sie starb als gläubige Frau,

die sie immer gewesen war. Dieser Glaube hat ihr geholfen, all die Tiefschläge ihres Lebens zu verarbeiten, die ihr und ihrer Generation so viel Leid gebracht haben.


Heute? In der Corona-Pandemie?

Wenn sie noch leben würde, wäre die Pandemie für sie vermutlich nur ein weiterer böser Meilenstein im Leben,

den man zu überwinden hat!

Wie gerne hätte ich sie jetzt an meiner Seite, damit sie mir die Wege zeigt ... die sie kennt, die mir aber noch so fremd sind.

Wir alle wissen ja gar nicht, wie traurig ein Leben sein kann ...


Guten Tag, Gruß Silvia 

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