Blagen!
Auch die Prinzessinnen und Prinzen unter uns sind damals im Ruhrgebiet als Blagen aufgewachsen. Von den einen wurden wir liebevoll so genannt, von den anderen als das betitelt, was Kinder nun einmal auch sein können:
Plagen! - Davon wiederum leitet sich der Begriff "Blagen" ab.
Wer einst aus den durchaus auch mal nervenden und kostspieligen Plagen das Wort Blagen kreiert hat, ist mir nicht bekannt. Vielleicht ergab es sich auch einfach aus der Umgangssprache, in der man ja auch vom Kucken und nicht vom Gucken spricht.
Ich kann mich nicht erinnern, dass wir Kinder mit diesem Wort unglücklich waren oder uns auf die noch nicht vorhandenen Schlipse, aber durchaus schon gebundenen Haar-Schleifen, getreten fühlten. Für uns war dieser
Sammelbegriff etwas völlig Normales.
Denn kaum kamen wir von der täglichen Spiele-Konferenz mit anderen Blagen nach Hause, mutierten wir wieder zu Prinzen und Prinzessinnen.
Auch damals schon wurden wir mit vielen Warnungen präpariert, zum Beispiel der, keinem Fremden zu folgen oder zu vertrauen, aber auch der,
im Schulbus für ältere Menschen Platz zu machen.
Gut, mein Vater meinte damals, wenn ich nach vielen Schulstunden mit dem Bus nach Hause führe, müsse ich für niemanden aufstehen ... ich wäre dann selber "sitz-bedürftig". Eine Ermüdung nach der Schule ist eben auch ein Grund für einen Sitzplatz.
Die Worte meines Vaters hatten für mich immer viel Gewicht.
Allerdings wurde auch ich zur Höflichkeit angehalten. Die ich natürlich - ganz das Dortmunder Blag - nicht immer einhalten konnte. Uns liegt leider immer etwas auf der Zunge, das sich nicht wirklich gut im Zaum halten lässt.
Gibt es heute noch Blagen?
Ganz sicher! Die schlimmsten unter ihnen sind die Rotz-Blagen! Allerdings bin ich mir unsicher, ob man heute dieses Wort überhaupt noch verwenden darf,
wenn ich mir die Helicopter-Eltern mit ihren unsichtbaren Schwertern ansehe, die über den Köpfen ihrer Über-Behüteten jedes Unheil abwenden, auch dann, wenn überhaupt gar keines in Sicht ist.
Heute herrschen in den 30er-Zonen der entsprechenden Straßen, in denen Schulen stehen, Verhältnisse wie auf Ruhrgebiets-Autobahnen zur Rush-Hour: Staus ohne Ende! Zweimal pro Tag. Anwohner erkennen an Wochenenden ihre Straßen kaum wieder, so friedlich ist es dann auf denen.
Wie diese Rundum-Betüddelung der ständig um ihre Blagen kreisenden Eltern sonst noch aussieht, weiß ich gar nicht genau, aber ich stelle mir als Ergebnis
und am Ende der Kindheiten und Jugendzeiten völlig unselbständige Erwachsene vor. Dann ist es günstig, wenn ihre Eltern
noch ewig jung genug bleiben, um ihnen so lange wie möglich beistehen zu können.
Wie das allerdings endet, wenn deren Eltern einmal Hilfe brauchen ... mir schwant nichts Gutes.
Es war schön, ein freies Blag zu sein - ohne permanente Kontrolle. Mit ganz viel Schmutz an der Kleidung haben wir die Waschmaschinen- und Waschmittel-Industrie
enorm reich gemacht.
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