Trauer
ist niemals pauschal und kann nach einem festgelegten Termin abgehakt werden. Sie ist so individuell wie es Menschen sind. Eigentlich erkennt man in der Form der Trauer auch den einzelnen Menschen - falls man demjenigen zuhört, der gerade einen Verlust erlitten hat. Manchmal ist es dann einfach so, dass der Mund überläuft, weil das Herz stehen geblieben ist: Man möchte nur noch über den Verstorbenen reden ... möchte ihn anderen auch ans Herz legen, und sei es nur für den einen Moment, in dem man von ihm erzählt.
Am 6. September musste ich Robin in der Tierklinik Duisburg, Kaiserberg, von seiner kurzen, schweren Krankheit erlösen lassen. Noch am selben Tag wurde er von einem Tierbestatter abgeholt, und drei Tage später eingeäschert:
Am 12. September hatte ich den Termin, um seine Asche abzuholen. Das alles geht so ratzfatz, dass einem schwindelig werden kann, wie rasch ein erfülltes Hundeleben nach seinem Tod abgearbeitet wird. Aber das ist das Geschäftsmäßige am Tod, das ist so und das will ich auch gar nicht bemängeln.
An diesem Donnerstag - ausgerechnet - war unser Auto in der Werkstatt. Natürlich hätte ich den Termin verlegen lassen können, aber ich wollte Robin nun ganz schnell wieder nach Hause holen.
Also bin ich mit Bienchen zum Bahnhof Duisburg gegangen, nachdem ich mich zuvor erkundigt hatte, wie ich am schnellsten nach Bochum, dort ist eine Filiale des Tierbestattungs-Unternehmens, komme.
Bienchen mitzunehmen, war im Nachhinein keine gute Idee, denn sie wird am 13. Oktober 2019 schon 16 Jahre alt, und offenbar ist sie unwillig, neue Gegenden zu "erkunden" - sie weiß ja nicht, dass ich nicht aus purer Lust und Laune nach Bochum gefahren bin. Obwohl ich, und da muss ich sagen, zum Glück, bei ihr keine Trauer über den fehlenden Robin erkennen kann, ist es ihr immer leicht gefallen, kurze oder auch längere Reisen zu machen, wenn Robin dabei gewesen ist. Vermutlich hat sie in ihrem hündischen Gemüt gedacht:
Wenn es Robin gefällt, wird es schon richtig sein.
Nun war er nicht mehr neben ihr, wie sie es seit Ewigkeiten kannte (seitdem ich sie in 2010 von meiner Mutter "vererbt" bekam) - und sie zeigte sich irritiert. Natürlich habe ich sie ziemlich betüddelt, um es ihr zu erleichtern,
obwohl ich selber eine Betüddelung gebraucht hätte. Am liebsten durch einen noch springlebendigen Robin ...
aber nun wollten wir lediglich die Überreste seines zuvor erkrankten Körpers abholen.
Ein paar Warteminuten auf dem Bahnsteig, der Zug war pünktlich, aber plötzlich fiel mein Blick auf den gegenüberliegenden Bahnsteig:
Kassel-Wilhelmshöhe steht auf dem Bildschirm, der die Ankunft des Zuges anzeigt. Nun muss man wissen, dass Duisburg ein großer und wichtiger Bahnhof im Ruhrgebiet ist, und die Züge könnten überall hinfahren ...
aber ausgerechnet nach Kassel-Wilhelmshöhe sollte dort bald ein Zug einfahren. Meine vielleicht wichtigste Zugfahrt, die weniger mit einer Reise zu tun hatte, war dort vor zehn Jahren hingegangen. Und selbstverständlich war Robin damals dabei gewesen.
Meine Augen wurden feucht. Ich bin noch nicht soweit, dass ich mich an meine gemeinsamen vielen Jahre mit Robin erinnern möchte - und da kommt ungefragt solch ein Hinweis, mit dem ich gar nicht gerechnet habe, aber der sofort Erinnerungen wach rüttelt. Zum Glück musste ich mich dann schnell darum kümmern, mit Bienchen in unseren Zug zu steigen und einen Platz zu suchen. Ein Mann aus meiner Heimatstadt Dortmund saß mir gegenüber ...
wegen Bienchen sprach er mich an. Und wir hatten ein freundliches Gespräch, in dem auch viel über Dortmund geredet wurde. Noch eine Erinnerung, jetzt aber eher eine eigene, wenn ich auch mit Robin natürlich hin und wieder in Dortmund war.
Endlich in Bochum angekommen, mussten wir auch noch in die U-Bahn umsteigen. Bienchens Unwohlsein wurde immer größer, obwohl sie sowohl Züge als auch U-Bahnen kennt.
Wir passierten u. a. die Haltestellen Bermuda-3Eck und Bergmannsheil. Die Haltestellen-Nennung des berüchtigten Dreiecks erinnerte mich an meinen eigenen Untergang seit RobinsTod.
Schön ist die Ecke wirklich nicht, durch die die Straßenbahn dann überirdisch weiterfuhr. Langsam fühlte ich mich genau wie Bienchen: Unwohl! Schwummerig in der Magengegend, denn ich hatte den ganzen Tag - und der war nicht mehr jung - noch nichts gegessen. Ich hatte einfach keinen Appetit gehabt, eigentlich seit dem 6. September nicht mehr. Das hält bis heute an.
Wir erreichten nach, ich weiß nicht wie vielen Haltestellen, es könnten 123 gewesen sein, und etwa 20 Minuten das Tierbestattungs-Institut.
In einem würdevollen, nach endgültigem Abschied riechenden, Ambiente wurde mir Robins Asche übergeben. Beigelegt war eine Rose, beigelegt auch ein Beileidschreiben - und zusätzlich die auch soeben beglichene Rechnung.
Ich stapfte mit Bienchen zurück zur Haltestelle, aber erst einmal in die verkehrte Richtung. Das hat etwas Symptomatisches, denn ich fühle mich gerade so, als hätte ich ohnehin die Richtung verloren. Hier wäre es auch egal gewesen, ich wäre ohnehin, ein leidendes Bienchen und Robins Asche im Gepäck, an irgendeiner Haltestelle angelangt, von der aus die Bahnen zum Bahnhof zurück fuhren.
Zum einen umklammerte ich fest Bienchens Leine, zum anderen die Tasche, in der die Asche des besten Hundes aller Zeiten lag. Ich durfte sie auf keinen Fall verlieren, nicht unachtsam werden, obwohl ich im Moment gerade unter Unkonzentriertheit leide.
Aber es ist alles gut gegangen. Zurück im Bahnhof Duisburg kehrten auch Bienchens Lebensgeister wieder:
Sie sprang vor lauter Freude durch das Bahnhofsgebäude und ebenso auf dem kurzen Weg nach Hause.
Eine kleine Weile werde ich Robins Asche noch hier zu Hause stehen lassen, bevor wir sie an einer seiner Lieblingsstellen vergraben werden, damit sie zur Nahrung für den bestimmten Baum werden. Das wird dann sein allerletzter Weg sein.
Robin: 13. Januar 2004 bis 6. September 2019
Guten Tag, Gruß Silvia
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