von Susanne Splitt
Meine Weihnachtsgedanken
Es ist wieder soweit. Nachdem wir uns seit der ersten Septemberwoche langsam darauf einstimmen konnten, steht die Adventszeit vor den Türen. Ganz plötzlich und unerwartet wie jedes Jahr. Und wie jedes Jahr werden Weihnachten und ich keine wirklichen Freunde werden. Nein, ich bin kein Weihnachtshasser, eigentlich finde ich, es ist eine schöne Zeit. Aber dieser unfassbare Konsumrausch stört mich. Und dieser selbst gebackene Stress, der scheinbar wie die Vanillekipferl zum Grundrezept der Weihnachtszeit gehört.
Die Fenster müssen geputzt werden, das Haus auf den Kopf gestellt werden. Ich putze meine Fenster, wenn und weil sie schmutzig sind. Und nicht weil Weihnachten ist. Spätestens Ende November werden die meisten Menschen hektisch und schieben sich gewaltsam von einem Termin zum anderen. Ich schiebe mich durch den normalen Arbeitsalltag und abends gemütlich aufs Sofa. Mit Keksen und Mandarinen und den Hunden. Mit Kerzenlicht. Und dem Wissen, dass ich ab Januar wieder abspecken muss (klappt jedes Jahr auch erst nach dem dritten Anlauf, denn die restlichen Kekse und Stollen und Dominosteine müssen noch entsorgt werden).
Und noch etwas schiebt sich immer wieder mit aufs Sofa, zwischen die Kekskrümel und den Vanilleduft:
Die Erinnerung an meine Eltern. Und an die Weihnachtstage meiner Kindheit. Es sind nicht nur verklärte und schöne Erinnerungen. Aber das Leben (oder die Gene ?) hat mich mich einem sonnigen Gemüt ausgestattet. Schon als Kind wusste ich, dass man sich mit dem weniger Schönen arrangieren muss.
Eine meiner Tanten drückte es so aus : "Das Aas schmeißt du vorne raus und hinten kommt es pfeifend wieder rein." Zeit ihres Lebens wurden sich meine Eltern übrigens nie einig, von wem ich diese Eigenschaft geerbt hatte. Sie waren sich ohnehin ständig uneinig.
Ich liebe meine Eltern, und auch wenn sie beide schon vor vielen Jahren verstorben sind: Ich vermisse sie.
Nichtsdestotrotz waren sie nicht einfach. Jeder für sich und zusammen schon ganz und gar nicht. Nie wieder habe ich ein Ehepaar oder Eltern kennengelernt, die so unterschiedlich waren.
Trotz aller Unterschiede (oder vielleicht gerade deswegen?) haben sie es immer geschafft, die Weihnachtszeit zu etwas Besonderem zu machen.
Mein Vater war Arzt. Landarzt. Zeit für seine Familie war etwas Kostbares, und einen geregelten Alltag gab es nicht. Gemeinsame Mahlzeiten waren eine Attraktion. Die Wochentage verliefen auch im Advent ganz normal. Bei uns wurde nicht gebastelt oder gebacken. Und auch keine Weihnachtsgeschichten vorgelesen (hätte bei mir auch keinen Sinn gemacht, schon als Kind habe ich es gehasst, wenn jemand mir etwas vorgelesen hat). Für solche Dinge fehlte meinen Eltern die Zeit.
Aber die Adventssonntage, die gehörten uns. Na ja, fast jedenfalls.
Ich war 8 Jahre, als die "Astor-Gans" dafür sorgte, dass meine Mutter sich weigerte, in Zukunft an den Adventssonntagen und Heiligabend zu kochen.
Die Gans war wegen diverser Knochenbrüche, Asthmaanfällen und einem akutem Blinddarm fünfmal wieder in den Ofen gewandert, von den Knödeln wollen wir mal gar nicht reden. Meine mitunter sehr temperamentvolle Mutter hat vor Wut gekocht und kurzerhand den verbratenen Vogel auf den Hof geworfen. Sehr zur Freude unseres Bernhardiners Astor.
Damals gab es noch kein Handy, es gab noch nicht mal in jedem Haushalt ein Telefon. Aber die ersten Funkgeräte.
"Papili, du brauchst dich jetzt nicht mehr beeilen mit dem Blinddings, die Mama hat die Gans auf den Hof geworfen. Es gibt heute Schnittchen und Würstchen."
Ich glaube, ich muss nicht erwähnen, dass meine Mama voll begeistert war.
Aber ab sofort gingen wir an den Adventssonntagen essen. Wir durften Bluna oder Cola trinken - das war normalerweise absolut verboten. Und hinterher spazieren. Wir haben Schneemänner gebaut oder im Nachbarort mit dem Förster die Tiere gefüttert. Wir haben zusammen gelacht und geredet und uns auf das Weihnachtsfest gefreut .
Die gemeinsamen Stunden mit meinen Eltern, das war für mich das Besondere. Die Zeit für- und miteinander. Die Vorfreude auf den nächsten Sonntag.
Und natürlich auf das Weihnachtsfest.
Heiligabend wurde - wie alles in meiner etwas chaotischen Familie - natürlich auch etwas anders gefeiert als in anderen Familien. Zumindest in der damaligen Zeit war es ungewöhnlich. Und ganz besonders auf dem Dorf.
Solange das letzte von uns Kindern an das Christkind glaubte, war die Wohnzimmertür verschlossen. Schlüssel suchen half nichts, den hatte das Christkind mitgenommen.
Den ganzen Tag herrschte bei uns ein Kommen und Gehen. Nachbarn, Freunde und Patienten kamen, um ein frohes Fest zu wünschen und Geschenke zu bringen. Das Büro meines Vaters hatte sich über die Adventszeit in einen Gemischtwarenladen verwandelt. Kiloweise gebackene Plätzchen und Stollen; Mettwürste, Schinken; unzählige Päckchen Schokolade und Pralinen. Und Schnapsflaschen in allen Variationen.
Selbst für eine fünfköpfige Familie war das zuviel des Guten, und so packte meine Mutter in der letzten Adventswoche ihr Auto voll und verteilte die Sachen in einem Kinderheim und an Familien, denen es nicht so gut ging.
Ab Mittag stand auf dem Herd ein großer Topf Suppe, und jeder konnte sich bedienen, wann er wollte.
Meine Schwester und ich halfen meiner Mutter bei den Schnittchentellern. Mein Vater fuhr deshalb extra 2 oder 3 Tage vorher in die Stadt und kaufte Lachs, Gänseleberpastete und andere Dinge (damals noch etwas ganz Besonderes).
Mein Bruder war fein raus, er war ein Junge und brauchte nicht in die Küche. Höchstens zum Naschen.
Mit der Dunkelheit kam für mich persönlich der einzig wirkliche Wermutstropfen in der Weihnachtszeit:
Umziehen und schick machen war angesagt. Eine Herausforderung für mich. Ich musste ein Kleid anziehen.
Ich war ein Lederhosenkind und hasste schicke Kleidchen, und noch schlimmer: Lackschühchen! Waren meine Eltern sonst unglaublich tolerant (bei uns gab es keine Sonntagskleidung), an Heiligabend gab es kein Pardon.
Während alle mit Umziehen beschäftigt waren, trudelten die ersten Gäste ein. Alleinstehende und kinderlose Freunde meiner Eltern. Dass mein Vater kurzzeitig verschwunden war, fiel uns Kindern dadurch gar nicht auf (als Christkind muss man schließlich improvisieren können) und als wir alle älter waren gehörte das Ritual trotzdem dazu.
Und dann endlich klingelte das Weihnachtsglöckchen
Noch als Teenager war ich jedes Jahr fasziniert von dem Anblick.
Dieser liebevoll geschmückte Baum, der wunderschön gedeckte und dekorierte Tisch und die vielen Kerzen.
Meine Mutter ließ es sich nicht nehmen, ein Weihnachtslied zu singen - bis auf " Tante" Inge sang, glaube ich, nie einer mit - aber alle standen um den Baum herum. Mit und ohne Tränen. Voller Ehrfurcht und Staunen. Oder mit traurigem Herzen, in Gedanken bei den Lieben, die nicht mehr da waren.
Dann durften die Geschenke ausgepackt werden, und es herrschte ein Tumult an Weihnachtswünschen und Umarmungen.
Und vor Freude quietschenden Kindern.
Es wurde angestoßen und gegessen. Und Spielzeug aufgebaut. Und irgendwann andere Musik aufgelegt.
Nach der besinnlichen Weihnachtsstimmung kam die Party. Es wurde getanzt und gesungen. Und immer wieder angestoßen.
In manchen Jahren wurde es schon mal 4 oder 5 Uhr morgens.
Die Weihnachtsfeiern meiner Eltern.
Unverständlich für viele.
Für mich etwas Wunderbares.
Die Weihnachtsfeiern meiner Eltern sind bis heute etwas Besonderes für mich. Weil sie es geschafft haben, aus zwei ganz unterschiedlichen Welten etwas Gemeinsames zu schaffen.
Mein Vater war Jude.
Er hat die Schoah überlebt.
Er kannte keinen Hass.
Er hat eine Christin geheiratet.
Meine Eltern haben uns gezeigt, dass es immer einen Weg gibt.
Ich bin ihnen dankbar, und stolz auf den Mut, den sie hatten, trotz aller Widerstände
Und ich bin ihnen dankbar für die Chanukka-Weihnachten.
Frohe Weihnachten wünsche ich Euch allen
Schalom
Gruß Susanne
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