Samstag, 1. November 2014

1. November 2014 - Aus dem Bienen-Kästchen - Ein Beitrag von Viktualia zu Allerheiligen



Ruhe sanft - Ein Beitrag unserer Viktualia Suleyka

Ein Elysium ist es, entrückt zwischen Dörfern und Kreisstädtchen, gar nicht weit von der Autobahn: Der Friedhof für Haustiere, 17 Hektar bizarres Gräberfeld mit aufwändigen Denkmalen für Hunde, Katzen, Meerschweinchen, Hamster, Kaninchen und Kanarienvögel. Hier betten Menschen ihre aufrichtig geliebten und tief betrauerten Freunde und Gefährten zum ewigen Schlaf, bereiten ihnen  ein pompöses letzes Bett.

Zwischen messerscharf gezogenen Wegen, sauber gepflastert, besenrein gefegt, liegen penibel eingefasste Grabstellen, hier und da schmücken Ziersträucher. Kleine Abmessungen kennzeichnen dieses Liliput, das mehr kleinkarierter Schrebergarten ist,  als großzügige Parkanlage. Kunterbunt herausgeputzte Parzellchen mit herzigen Hundeskulpturen, Elfen, Engeln:  Verlogener Kitsch drückt ehrliches Gefühl aus. „Hier ruhen unsere toten Freunde“ steht auf einem Findling am Eingang. „Der Hund bleibt dir im Sturme treu, der Mensch nicht mal im Winde“ salbadert die Stele daneben.

Jedes Jahr müssen eine Million tote Haustiere entsorgt werden. Sie landen in der Abdeckerei, der Tierkörperverwertungsanstalt. Man erhitzt dort die Kadaver in großen Öfen auf 130°, dann zermalmt eine Presse Haut und Knochen. Das austretende Fett kauft die Industrie für Christbaumkerzen, Seife und Waschpulver, die Proteine landen im Kraftfutter von Schweinen und Geflügel. Den verstorbenen Kameraden einfach in die Mülltonne zu werfen, erschiene angesichts dieser vollautomatisierten Ausschlachtung beinah würdevoller.

Welch grausame Abwicklung  des einen Lebewesens, das jemandem  lange Zeit Alles war, da potenzieren sich Trauer und Schmerz. Abfallentsorgung profitabel gekoppelt mit ökonomischer Verwertungsmechanik: Unfassbar für den Menschen, der zurückbleibt. So will man hier nicht umgehen mit seinen Toten: Man beerdigt sie anständig, für viele der Tiere werden regelrechte  Begräbniszeremonien abgehalten, mit allen Schikanen: Satingefütterter Sarg, Ansprache, Kranz und Gesang.

Verhältnismäßig? Richtig? Falsch?  Wer auf diesem Friedhof sein Tier begraben hat, vermisst es oft herzzerreißend und sucht mit regelmäßigen Besuchen immer noch und immer wieder den Kontakt. Anders geht es nicht. Urteile wer will. Zivilisierte schütteln entrüstet den Kopf,  der Tierfriedhof polarisiert. Spott, Empörung, Unverständnis, die aufgeklärten Menschen da draußen haben ihre klaren Standpunkte. Die hier drinnen fühlen miteinander.

Martha kommt, wenn möglich einmal im Monat her. Unter ihren Füßen knirscht der Kies. Bei jedem Schritt der orthopädischen braunen Halbschuhe vereinigt sich die Melodie des Wegbelages mit dem Räderquietschen eines Einkaufsrollers, den die alte Frau energisch hinter sich her zieht. In ihr singt dieser Rhythmus weiter, melodisch untermalt durch das aufgekratzte Gezwitscher von Spatzen, Amseln, Meisen und einer beharrlichen Feldlerche. Das ist Marthas Ode an die Freude: Heute besucht sie Mimi.

„Ist ja jedes Mal eine Weltreise“, sagt sie, atmet tief durch, und lässt sich  erleichtert auf eine weiße Kunststoffbank fallen. Hier, im Schatten der hohen Eibe kann sie endlich ausruhen. „Drei Stunden bin ich jetzt unterwegs, mit Bus und Bahn“. Langsam und umständlich knöpft Martha ihren Tweedmantel auf, nimmt den viel zu warmen Wollschal ab, schließt die Augen und genießt den Duft von Lebensbäumen und Zypressen. Der leichte Wind schafft es zwar nicht, ihre festen stahlwollegrauen  Locken zu zerzausen, aber die Wangen hat er ihr rosig  gefärbt.

„So! Weiter geht`s, wir haben ja noch einiges vor“, Martha spricht schon lange  mit sich selbst. Seit ihr Mann vor 20 Jahren starb, lebt sie allein in einer kleinen Großstadtwohnung. „ Aber viel zu sagen hatten wir uns eigentlich auch zu seinen Lebzeiten nie. Obwohl wir fast 30 Jahre verheiratet waren“. Nach Herrmanns Tod hat Martha erschrocken festgestellt, dass er ihr nicht fehlte, sie sprach immer noch mit sich selbst - genau so viel und so oft wie vorher. „Und erst da hab ich  gemerkt, dass ich immer schon Selbstgespräche geführt habe“.  Martha kichert.

Verwundert entdeckte die fast 60-jährige damals, dass das Leben auch für sie noch Überraschungen bereithielt: „Meine Nachbarin wurde krank und starb, ich nahm ihren kleinen Pudel Mimi in Pflege, man wusste ja nicht wohin mit dem Tier“. Eine Notlösung für kurze Zeit sollte das sein, aber irgendwie meldete sich nie wieder jemand bei Martha. Und die hütete sich, die Angehörigen anzurufen. So geriet der Hund in Vergessenheit und Marthas Leben in Bewegung. Ganz langsam.

„Einmal bin ich aufgewacht und fühlte mich anders als sonst“, ihre freundlichen hellblauen Augen spiegeln immer noch etwas vom Staunen dieses Morgens, „Ich freute mich auf den Tag, richtige prickelnde Freude, wie früher als Kind am Geburtstag oder Weihnachten“. Martha hatte das Gefühl, als hätte jemand die graue Wehrmachtsdecke weggezogen, die bislang ihr Leben beschwert hatte. „Das kam durch den Hund, der guckte mich an, der stupste mich und war frech, lustig, verspielt, da musste ich einfach lächeln“.

Sorgfältig steckt Martha gelbe Chrysanthemen in eine Vase. Es dauert, bis sie das dicke Blumenbund zufriedenstellend in dem hohen, schlanken Gefäß arrangiert hat. Sie nickt zufrieden, als sie die Blütenpracht exakt in die Mitte des kleinen Grabes platziert, direkt hinter das Porzellanbild ihrer Mimi. „Fast 16 Jahre war sie bei mir“.

Martha ist nach Mimis Tod nicht wieder in die stumme Einsamkeit zurückgefallen, die vor allem ihr Leben in der ehelichen Zweisamkeit kennzeichnete: „Ich habe durch Mimi so viele Leute im Viertel kennengelernt und  gute Freunde gewonnen.“ Und selbst wenn Martha manchmal noch ein bisschen traurig ist, hier an Mimis Grab: Die Freude, morgens beim Aufwachen, die spürt sie immer noch,  jeden Tag.

Aus den Tiefen des Hackenporsches kramt Martha jetzt einen Beutel mit Putzschwämmchen und Reinigungsmitteln hervor. Kopfschüttelnd wischt sie die Hinterlassenschaft einer pietätlosen Drossel von der Grabplatte. Nun blinkt der Schriftzug wieder: „Mimi - unvergessen“, schwarze Buchstaben auf blendend weißem Marmor. Weißer geht`s nicht. Auch die Kiesel, mit denen das gepachtete  Rechteck akkurat aufgefüllt ist, sehen aus wie jeden Tag von Hand geputzt.

Reinlichkeit scheint Gesetz auf dem Haustierfriedhof, verwahrloste Gräber findet man hier nicht. 5000 Seelen schlummern in himmlischem Frieden und fleckenloser Sauberkeit. Alle nur denkbaren Auswüchse deutscher Gartenkultur werten die Beete und Rabatten auf.  Eine hellgraue Steinbank spiegelt griechische Antike vor, ihre beinah Marmorsitzfläche ruht auf zwei gewaltigen Löwenskulpturen. Zwischendrin laden , weniger opulent als praktisch, Plastikbänke zum Ausruhen ein.

Freudig begrüßt Martha ein älteres Ehepaar, man kennt sich von den häufigen Besuchen hier. Anna und Walter schauen alle 14 Tage nach ihrer „Diana“. Die Besuche am Grab der verstorbenen Jagdhündin sind ritualisierte Inszenierungen: So nimmt Anna stets ein aufwändig gebundenes Album aus ihrer großen Tasche und blättert es gemeinsam mit Walter Seite für Seite durch. Diana, vom tapsigen Welpen bis zur Seniorin, festgehalten auf Hochglanzfotos. „Unserer lieben Diana zum Abschied. Von Mama und Papa“, ziert das Vorsatzblatt in Schönschrift.

„Unserem Kind“ ist der Titel eines Videobandes, das Besuche am Grab festhält,  neue Dekorationen und Bepflanzungen dokumentiert. „Diana ist unser liebstes Kind“, betont der 75-jährige Walter mit fester Stimme. Der Mann, mit dem gutmütigen Aussehen eines Bilderbuch-Großvaters sagt plötzlich verbittert: „Ich habe zwar sechs Kinder und drei Enkel, aber zu denen gibt`s keinen Kontakt mehr“. Warum auch immer das so ist, den abgrundtiefen Kummer darüber merkt man Walter und Anna deutlich an. Wer weiß schon, um wen die beiden während ihres autistischen Memorandums  alle 14 Tage wirklich trauern?

Abkehr vom Menschen,  vermenschlichende Zuwendung zum Tier - das scheint gemeinsames Merkmal vieler Grabpächter zu sein. Tieren kann man vertrauen, sie widersprechen nicht, sind bedingungslos treu, ergeben und dankbar bis zum Schluss. Von ihren Menschen werden sie verzweifelt wiedergeliebt, sind keine austauschbare Kuschelware, schnell nachgekauft beim nächsten Megazoo. Jedes dieser Tiere ist gemeint und gesehen worden: “Schlafe, mein kleiner Purzel“ steht auf Terrier Blackys Granitblock, „Deine schöne Seele war wie der Himmel voller Sterne“ lautet die poetische Inschrift bei Katze Tinka.

Wortreiche Tierliebe in vorgefertigte Poesie gepresst, das erzählt vor allem von sprachloser Einsamkeit. Jeder Stein, jeder Buchstabe zeugt bis an die Schmerzgrenze deutlich von Gefühl, von aufrichtiger Liebe, von Treue, Freundschaft und Verbundenheit. Pathos in Stein gemeißelt. Je ausschweifender und verschnörkelter die konfektionierte Lyrik der Inschriften, desto stummer und verschlossener der Mensch, der sie in Auftrag gab?
Drei Gräber rechts von Diana reichen jedenfalls vier Worte aus, um dem verstorbenen Kollegen auf ewig zu danken: „Kaninchen Nicky. Dein Zauberer“.


2 Kommentare:

  1. Danke, Susi - dein Beitrag zu Allerheiligen ist absolut lesenswert und empathisch und mit gehöriger Sympathie für die Leute geschrieben, die ihre treuen Begleiter über den Tod hinaus begleiten. Ganz so, wie es Menschen für Menschen machen. Zwar ist ein Tierfriedhof überhaupt nicht mein Ding, aber ebenso wenig ist mein Ding ein Friedhof für Menschen. Früher gingen wir an Allerheiligen in Dortmund familienmässig auf den Friedhof, brachten Lichter und Gestecke - und anschließend versammelte sich die gesamte Sippe in einer Kneipe. Es war für uns Kinder (so viele gab es gar nicht in meiner gesamten Familie) auch ein Anlass, mal den Erwachsenen neugierig zuzuhören (wir tobten noch nicht durch die Restaurants, wir wurden noch ein bisschen erzogen -lol).

    Ich habe schon ein paar Tiere verloren, aber ein Friedhof für Kuscheltiere kam mir an deren Lebensende nicht in den Sinn. Sie liegen im Garten. Ganz ohne irgendeinen Hinweis, ganz ohne Blümchen. Sie hatten jeweils ein gutes Leben bei mir, und in meinem Herzen sind sie sowieso. Ich denke z. B. an meinen Kater Lucky, der über 20 Jahre alt geworden ist. Am Ende - auf dem Tisch der Tierärztin - hat er geseufzt und dieses Seufzen bedeutete: Es ist genug an Leben. Manch einer hat nicht mal so ein langes Leben. Er fehlt mir immer noch, und es ist zwei Jahre her, dass er gehen musste.

    Für Bienchen und Robin erhoffe ich mir noch viele viele Jahre. Aber meine Meinung zu Friedhöfen wird sich bestimmt nicht ändern. Ich gehe selten bis beinahe nie mehr auf einen. Es bringt mir nichts. Wem es aber anders ergeht, der ist gut aufgehoben - so ganz in der Nähe seiner Liebsten. Ob Mensch oder Tier.

    Danke für diesen Bericht, Silvia

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  2. Sehr gut und einfuehlsam geschrieben. Vielen Dank. Gr. D

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