Die Geschichte der Weihnachtsgans "Stella"
Gänse sind in der Bewachungs-Branche angesehener als ihnen körperlich oft überlegene Hunderassen. Und sie haben den Vorteil, dass sie nicht nur die
Gänsemeute bewachen dürfen, sondern auch jeden Martins- oder Weihnachtstag überleben. Allen voran schreitet die Gans "Robin", aber sie ist zum Leidwesen ihres Besitzers auch
schnattrig in Bezug auf ihre Erfahrungen, die sie mit Menschen gemacht hat. Robin schnattert seiner Gänsemeute gern von ihrem bevorstehenden Tod ein Liedchen vor. Das erhöht den Adrenalinausstoß so mancher als Weihnachtsbraten gedachten schönen Gans. Andere wiederum glauben Robin nicht, dass ihr wunderbares Leben auf der grünen Wiese und in bester Gesellschaft bald auf unnatürliche Weise enden wird.
Die Gans, die sich selber Stella nennt, weil der Boss ihr geschnattert hat, dass die Sterne, die sie nachts am Himmel sieht, alle Stella heißen. Auch sie glaubt dem Obergänserich kein einziges Schnabelgebrüll: sie will nicht im Ofen und auf Tellern enden ... das ist einfach eine zu grausame Vorstellung, als dass Stella sie glauben könnte. Eher sieht sie sich als stolze Gans, die mit ihrer weißen Schönheit alle Menschen erfreuen möchte, die sie sehen.
Patrizia
kommt in menschlicher Gestalt auf den Bauernhof, denn sie soll eine Weihnachtsgans für ihre betagte Großmutter kaufen: eine wichtige Aufgabe, denn die Oma ist eine sehr gute Köchin, nur laufen kann sie nicht mehr so gut.
Nachdem Patrizia den Hofladen inspiziert hat, zieht es sie zur Gänsewiese: das fröhliche Durcheinander-Schnattern der weißen Schönheiten lässt die junge Frau an das nahe Ende all dieser herrlichen Geschöpfe denken. Ihr Magen verkrampft sich, sie spürt einen leichten Würgereiz, der sie an einen vielzitierten Satz denken lässt:
Man kann nicht alle retten ... aber wer eine rettet, rettet die ganze Welt.
Vergessen war die Aufgabe ihrer Oma, die sie geschickt hatte, um eine tote Gans zu kaufen,
als ihr Stella entgegenmajestätet.
Solch ein wunderschönes Tier, denkt Patrizia, als der Bauer sich zu ihr gesellt und von guter Haltung spricht.
Aber auch die endet im vorzeitigen Tod, denkt Patrizia.
Stella schmeichelt sich regelrecht ein, als würde sie raffiniert nach einem Strohhalm greifen, der sie von ihrem angedachten Schicksal befreien könnte. Stella ist nämlich eine ziemlich kluge Gans - und möglicherweise hatte der Gänse-Chef ja Recht, und sie alle würden im Ofen landen ... zumindest musste sie diese Möglichkeit in Betracht ziehen.
Der Deal
Wie ferngesteuert fragt Patrizia den Bauern, ob sie auch eine lebendige Gans kaufen könnte.
"120 Euro", sagt der Bauer prompt. Das erspart ihm ein weiteres Schlachten. Patrizia deutet auf Stella, und genau diese landet kurz danach in ihrem Auto.
Wohin jetzt mit einer Gans, die ja eigentlich kein Haustier ist und sich in ihrer Wohnung bestimmt unglücklich fühlen würde? Patrizia fasst einen tollkühnen Entschluss, und fährt ohne große Kenntnis der Spezies zu der ihr bekannten Rheinwiese: dort hat sie schon oft Wildgänse gesehen. Vielleicht wäre das der richtige Ort für Stella! Eine prächtige Gans unter ihren wilden Vorfahren, den Graugänsen.
Tatsächlich entdeckt Patrizia ein paar dieser Vorfahren, und mit Stella springt sie aus dem Auto. Eine neue Welt, denkt Stella auf gänsisch und sieht sich neugierig um,
als auch schon ein prächtiger Graugänserich auf sie zukommt.
Und wenn ihr irgendwann zwischen all den grauen Gänsen hoch oben am Himmel einen weißen Fleck entdeckt, dann ist das die lebenslustige Stella, die sich ihnen - nachdem sie ein paar Flugstunden genommen hat - angeschlossen hat.
Frohe Weihnachten, Gruß Silvia
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