Mein väterlicher Freund Fred
Sehr spät - und lange nach seinem viel zu frühen Tod habe ich etwas über meinen Vater erfahren, das er mir gar nicht selber erzählt hat: denn er hatte über gewisse Ereignisse offenbar ein tiefes Schweigegelübde abgelegt. Ein Viel-Schwätzer war er ohnehin nie.
Von jemand anderem habe ich erfahren, was meinem Vater vermutlich widerfahren ist.
Ich traf Fred eines Tages auf einem Waldspaziergang mit meinem Yorkshire-Terrier Robin (Bienchen kam erst ein paar Jahre später als Erbteil meiner Mutter hinzu). Ein beliebter Hundetreffpunkt war der Tümpel in unserem Wald - aber so oft ich auch hoffte, Robin würde mal hineinspringen ... er blieb für immer wasserscheu. Doch es war schön, einen Moment auf einer Bank auszuruhen und den anderen Hunden beim Baden und ihren Wasserspielen zuzusehen. Als ich an diesem Tag vor vielen Jahren weiterging, ging auch Fred (dessen Namen ich zu dem Zeitpunkt natürlich noch nicht kannte und sowieso geändert habe) weiter und wir befanden uns auf derselben Höhe, so dass wir ins Gespräch kamen.
Er führte jeden Tag die zwei Hunde seiner Tochter durch den Wald. Und er war mir auf Anhieb sympathisch. Die nächsten Treffen waren dann rein zufällig, aber schließlich verabredeten wir uns.
Wir wurden schnell sehr vertraute Freunde.
Fred und mein Vater
waren bzw. sind bis auf den Hauch eines einzigen Tages gleichaltrig. Mein Vater wurde am 27. September 1928 geboren, Fred wurde einen Tag vorher am 26. September 1928 geboren. Um den Zufall noch ein bisschen auszuweiten, ist Freds einziges Kind, seine Tochter, genau einen Tag jünger als es mein Bruder war (mein Bruder ist an einem 15., sie im selben Jahr am 16. Juli geboren).
Fred und auch mein Vater wurden als Kinder in den Krieg eingezogen, dem sie als Kanonenfutter dienen sollten. Und beide landeten in französischer Kriegsgefangenschaft.
Fred konnte sich nicht an meinen Vater erinnern, weil er ihn vermutlich nicht getroffen hat und es viel zu viele Gefangene gab. Aber wie auch die Mutter von Fred hat meine Oma lange Zeit vergeblich auf eine Nachricht ihres Sohnes gewartet.
Ich habe einen mit Bleistift handgeschriebenen Brief meines Vaters an seine Eltern, den ich leider überhaupt nicht mehr entziffern kann, so verblichen ist er. Immerhin durften sowohl Fred als auch mein Vater irgendwann einen erlösenden Brief nach Hause schicken ...
Gefangengenommen in unserem Wald
Ich hatte mich oft gefragt, wie mein Vater in französische Gefangenschaft geraten ist - aber: er sprach nicht darüber. Als ich Fred kennenlernte, war mein Vater bereits verstorben.
Doch Fred hat mir genau erzählt, wie er in die Hände der Franzosen gelangt ist:
er war im Grunde auf dem Heimweg aus dem sinnlosen Krieg, zurück zu seinen Eltern. Dieser Weg führte ihn durch den Wald, der ganz in der Nähe seines Elternhauses lag.
Er hat mir die Stelle gezeigt, an der er festgenommen worden ist: sie liegt einen unbedeutenden und leichten Katzensprung Luftlinie von seinem Zuhause entfernt. Als wir uns kennenlernten, lebte Fred noch in diesem Haus.
Die Franzosen haben ihn anschließend nach Frankreich verschleppt. Er hat mir viele Geschichten aus dieser Zeit erzählt, aber ich frage mich bis heute:
ist mein Vater auf ähnliche Weise in französischer Gefangenschaft gelandet? Natürlich lebte er in Dortmund und nicht in dieser Stadt - aber wie haben sie ihn, noch nicht einmal volljährig, geschnappt und was hat das alles gebracht?
Fred
lebt noch. Für seine jahrelange Freundschaft bin ich ihm sehr dankbar.
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