Montag, 2. März 2020

2. März 2020 - Ein Gastbeitrag von Gertrud Conradt - Hamstern



Ein Gastbeitrag von Gertrud Conradt
übers

Hamstern

Heute werden die Regale leer gekauft und alle Welt nennt es Hamstern.

Immer, wenn ich dieses Wort lese oder höre, fällt mir eine Geschichte ein, die meine Mutter uns Kindern erzählte:

Mein ältester Bruder wurde im Krieg geboren. Mein Vater war Soldat und unsere Mutter wohnte mit meinem Bruder in Kevelaer bei ihren Eltern. Der Krieg kam näher, und Kevelaer wurde zur roten Zone erklärt.

Das bedeutete, dass sie mit dem Kleinen zu ihrem Schwager nach Issum (Geldern) ziehen musste, wollte sie nicht evakuiert werden.

Mein Onkel hatte einen großen Bauernhof mit genügend Nahrung. Nahrung, die der städtischen Bevölkerung fehlte.

Diese begab sich auf Hamsterfahrten.

Meine Mutter erzählte, wie Wertgegenstände gegen Butter, Milch, Eier usw. eingetauscht wurden. Teppiche, Schmuck, alles, was einen Wert hatte, wurde zum Tausch gegen Lebensmittel angeboten.

Wer jedoch nichts zum Tauschen hatte, bekam auch nichts.

Einmal sah sie, wie ein Kriegsversehrter vom Hof gejagt wurde, weil er Fallobst aufgesammelt hatte.

Ich kenne niemanden aus unserer Familie, der so geldgierig und geizig war wie der Schwager meiner Mutter.


Nach dem Krieg war mein Vater Verwalter eines Gutes in Osterath. Das liegt bei Düsseldorf. Der Gutsbesitzer selber war noch in Gefangenschaft.

Auch hier kamen die Armen aus der Stadt, die nichts zu essen hatten. Sie gruben die Kartoffeln und Rüben aus den Feldern.

Mein Vater musste sie vertreiben.

Ich habe mich immer gefragt, ob er das als Verwalter des Gutes freiwillig getan hat - oder hatte er Mitleid? War er so wie sein Bruder? Oder hat er manchmal Fünfe gerade sein lassen?

Ich weiß so gar nichts von meinem Vater, er starb so früh.

Damals hatten die Menschen Hunger, und sie mussten entweder ihr Hab und Gut verschleudern oder stehlen.

Heute sind die Menschen hysterisch und kaufen die Läden leer, aus völlig nichtigen Gründen.


Herzliche Grüße, Gertrud Conradt

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