Dienstag, 17. März 2020

17. März 2020 - Gastbeitrag von Gertrud Conradt: Jahresgedächtnis

Foto: Gertrud Conradt, Friedwald

Ein Gastbeitrag von
Gertrud Connradt


Jahresgedächtnis

Dies wird nun das letzte Mal sein, dass ich über unseren Verlust schreibe.


Heute jährt sich der Todestag meines Mannes zum ersten Mal. Früher ließ meine Mutter am Todestag meines Vaters eine Messe lesen. Ich möchte mich anders an das letzte Jahr erinnern, denn so religiös bin ich nicht mehr.

Der 16. März begann ganz normal und endete mit einem großen Schock. Mein Mann starb in der Nacht zum 17. März. So steht es in der Sterbeurkunde.

Die erste Zeit war ich wie erstarrt. Mit Hilfe meiner Kinder erledigte ich, was erledigt werden musste. Ich funktionierte, mehr nicht. Ich konnte es nicht fassen, warum nur ging er so plötzlich? Ich war darauf nicht vorbereitet. Am Anfang bildete ich mir ein, ihn zu sehen, in seinem Bett, auf seinem Platz im Wohnzimmer.

Ziemlich früh sortierte ich seine Sachen aus. Einige Dinge behielt ich, den Rest gab ich weg oder entsorgte ihn. Unser Ehebett kam in die Sperrmüll. Ein Einzelbett zu haben, erwies sich als große Erleichterung. Ich begann eine Tagesdecke mit seinem Bild zu häkeln. Jeden Tag wuchs sie und mit ihr sein Gesicht. Es liest sich vielleicht seltsam, aber ich konnte viel Trauer in diese Decke stecken. Eine große Hilfe in dieser Zeit war neben meinen Kindern Silvia, die mich ermutigte, über meine Trauer zu schreiben. Das half mir auch, den Schmerz zu verarbeiten.

Ich verkaufte unser Auto. Zwar habe ich vor langer Zeit meinen Führerschein gemacht, aber da ich nie ein eigenes Auto besaß, fehlt mir die Fahrpraxis und so habe ich den „grauen Lappen“ verfallen lassen. Ist wahrscheinlich besser für meine Mitmenschen.

Ostern hatte ich gut überstanden, aber im Herbst kam der Geburtstag meines Mannes. Wir fuhren zum Waldfriedhof, um ihn zu besuchen. Bei diesen Gelegenheiten merkte ich, dass ich mir vorher viel zu viele Gedanken machte. Meine blühende Fantasie malte immer alles in düsteren Farben, aber letztendlich waren Feiertage keine große Belastung für mich. Das verdanke ich meinen Kindern und besonders meinem jüngsten Sohn, der bei mir lebt. Weihnachten, ganz anders als das letzte, war auch sehr schön. Ich dachte nur wehmütig an die vielen Jahre mit ihm, aber konnte trotzdem das Beisammensein mit der Familie genießen.

Inzwischen ist die Decke schon lange fertig. In ihr habe ich manchen Schmerz verarbeitet. Wenn ich zu Bett gehe, schaut er mich an und dann erzähle ich ihm von meinem Tag. Das mache ich jeden Tag.

Ich lebe nun zum ersten Mal in meinem Leben ganz eigenverantwortlich. Auch unangenehme Dinge, die ich gerne meinem Mann überließ, erledige ich selbst. Das macht mich ein bisschen stolz. Ich bin etwas aus meinem Schneckenhaus gekommen und traue mich, meine Meinung zu schreiben. Das verdanke ich auch Silvia, die mich ermutigt hat. Dafür danke ich ihr.

Auf eigenen Füßen zu stehen, gefällt mir gut.

Ich würde aber liebend gerne auf alles verzichten, wenn er wieder bei mir wäre. Ich möchte aber betonen, dass ich mir immer selbst im Weg stand, ich hab mich selbst zurückgehalten, keiner hat das verlangt.

Obwohl ich es nicht glauben konnte und wollte, verabschiedeten sich der Schmerz und die Trauer immer mehr. Geblieben ist die Wehmut und die große Hoffnung, das wir uns eines Tages wiedersehen werden. Wo auch immer.


Gertrud Conradt


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