Sonntag, 9. Juni 2019

9. Juni 2019 - Die beste Freundin

Inge ist die Blonde

Die beste Freundin

Es fällt mir gar nicht leicht, über Inge zu schreiben. Einerseits kann ich ihr mit Sicherheit nicht gerecht werden, andererseits hat es den Grund, dass ich vieles einfach nicht öffentlich schreiben möchte. Dann würde diese Freundschaftsgeschichte viel zu lang und viel zu intim werden. Man könnte einen Roman über Inge schreiben, aber ich werde das nicht tun.

Wir haben manchmal in einem Bett geschlafen, und noch viel öfter haben wir uns jede Menge Blödsinn ausgedacht - dachte ich, denn am Ende war klar: Ich bin nicht halb so verrückt wie Inge es war, und ich habe nicht einmal einen kleinen Teil des Unsinns verzapft, den sie im Repertoire hatte.

Ich habe sie geliebt, aber manchmal auch gehasst. Wenn meine Abneigung zu groß wurde, habe ich mich für jeweils eine Weile von ihr distanziert. Am Ende kamen wir immer wieder zusammen -

bis auf dieses letzte Mal.

Inges Mutter rief mich an: "Sie haben Inge so sehr gefehlt" - sagte sie mir, und leider musste sie mir im selben Telefongespräch auch erzählen, dass Inge tot ist. Von eigener Hand in der eigenen Badewanne war sie gestorben.

Sie hinterließ eine verzweifelte Mutter und eine ratlose Freundin, die bis heute mehr wütend als traurig über Inges Schicksal ist.

Wie konnte Inge ihrer Mutter das antun? Inges Mutter war schon weit über 40 Jahre alt, als sie ihr einziges Kind zur Welt brachte - und nun als alte Frau musste sie erleben, wie dieses Kind vor ihr die Welt verließ. Nicht etwa, weil sie musste, sondern weil sie es wollte.

Da ich Inge in den letzten etwa drei Monaten nicht gesehen hatte, wusste ich über diese Zeit auch nicht viel - aber mein Zuhause wurde eine Art Sammelstelle für andere Freunde von Inge. Nach und nach oder auch gleichzeitig schellten sie an - und wir waren uns einig in unserer Wut auf sie.

Ich fragte ihren Internisten, ob Inge krank gewesen sei und diese Krankheit vielleicht verschwiegen hatte. Natürlich wollte er meine Frage zunächst nicht beantworten (er war selber geschockt über ihren Suizid), aber schließlich erzählte er, dass sie nicht körperlich krank gewesen sei.

Wenn man Inges Leben näher kennt, kann man sich ein paar Gründe für ihren einsamen Entschluss zusammen reimen - leider kann ich mich nicht dazu überwinden, darüber zu schreiben und wirklich schlüssig sind diese Gründe überdies (für mich)  auch nicht.

Es gab einen Abschiedsbrief. Den besaß ihre Mutter. Leider hat Inges Mutter Stefanie nach der ersten Erkenntnis, dass ihre Tochter sich selbst das Leben genommen hat - plötzlich negiert, dass es war wie es nun mal war.

Es war ihr Selbstschutz vor der Realität. Nein, meinte sie nach ein paar Tagen, Inge hatte einen Unfall in der Badewanne.

Es blieb ein seltsamer nächtlicher Anruf auf meinem  Anrufbeantworter, einen Tag vor dem Auffinden von Inge. Man konnte kein einziges Wort verstehen, aber hören, dass da jemand am anderen Ende der Leitung war, dem es nicht gut ging. Diesen Anruf wird Inge getätigt haben, kurz bevor sie hinüberdämmerte ... kein anderer sonst käme dafür in Frage.

Bis heute macht mir der Anruf am meisten zu schaffen.

Das alles ist schon ein paar Jahre her, aber bis heute denke ich mindestens einmal am Tag an meine Freundin Inge, die so herrlich und auch gefährlich verrückt war (dies ist keine Diagnose), aber durchaus eine Bereicherung für mein Leben war. Wenn auch manchmal eine, die an den eigenen Nerven zerrte ... daher konnte es passieren, dass ich die letzten Monate von Inge nicht miterlebt habe.

Sie wurde ohne Beerdigungs-Feier und eingeäschert im Grab ihres Vaters beigesetzt. Vermutlich stand es so in ihrem Abschiedsbrief.

PS. Ein Foto von ihr, in aller Öffentlichkeit - es hätte ihr sehr gefallen.

Inge war hochintelligent und ist tief gefallen. Das Leben, das  sie sich ausgesucht hat (oder auch nicht) , war am Ende nur ein Weg in  den frühen Tod.

So oft habe ich sie mit den Worten "Ich will und muss nicht alles wissen, was du treibst" gewarnt. Damit wollte ich sagen: Treib es ein bisschen weniger bunt: Sie hatte auch andere gute Freunde - es hat nicht geholfen.

Am Ende weiß ich, warum der Tod ihr die Lösung gebracht hat ... und das Wesentliche davon bleibt unter uns beiden.

Ich vermisse sie nicht, weil sie es dramatisch auf die Spitze getrieben hätte. Sie hat die richtige Entscheidung getroffen. Punkt!


Guten Tag, Gruß Silvia

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