Montag, 13. Juli 2015

13. Juli 2015 - Geschichten - "Arme Teufel" - Eine sehr böse Kurzgeschichte von Silvia Gehrmann - 3. und letzter Teil

Schottland
Arme Teufel - 3. und letzter Teil
Eine sehr böse Kurzgeschichte von Silvia Gehrmann


Und für einen kurzen Moment war sie hin- und hergerissen, von dieser wahnwitzigen Vorstellung, eine Königin könnte die Mutter von diesem Lumpen-Mann sein. Sie sah ihn von oben bis unten prüfend an und stellte fest, dass es außer einer Namensgleichheit vielleicht eine Mutter gegeben hatte, die ihren Sohn sehr liebte. Dass später sein Leben aus dem Ruder gelaufen war - sie befürchtete, er würde ihr zwangsweise seine Lebensgeschichte erzählen.

Mit einem Bein hinkend trottete Charles neben ihr her, und ein wenig Sorge, dass sie von jemandem gesehen werden könnte, hatte sie - doch gelangten sie unbeobachtet zu ihrer Villa. Erwartungsgemäß staunte der Mann, denn soviel Pracht und zur Schau gestellten Reichtum hatte er ewig nicht gesehen, wenn er es überhaupt je einmal gesehen hatte. Er zögerte mit einem Anflug von gutem Benehmen, das er in seinem derzeitigen Leben lange nicht mehr einsetzen musste, die heiligen Hallen zu betreten. Doch Fleur zog ihn entschlossen und flink in das Haus hinein.

Auch von innen überwältigten ihn die Eleganz und das teure Interieur. Mit einem letzten inneren Aufbegehren wollte er sich gegen die Freundlichkeit der jungen Frau wehren, und war doch längst hoffnungslos verstrickt in Fleurs Plan, ihm Hilfe angedeihen zu lassen. Wollte er Hilfe? Wollte er auf seinem Weg überhaupt noch kehrt machen?

Sie sah so freundlich aus - und er wollte sie erst einmal nicht vor den Kopf stoßen.

Fleur bemerkte sein Zögern und wurde ein bisschen ungeduldig. Sie hatte schon öfter Menschen geholfen, denen es nicht gut ging. Das letzte Mal war zwar vor ziemlich langer Zeit gewesen, und sie erinnerte sich gerade nicht daran - aber sie erinnerte sich an das erste Mal.

In seiner Wiege lag unschuldig ihr winziger Bruder, der mit seinem Schreien seine und ihre Mutter zur schieren Verzweiflung trieb. Sie war sechs Jahre alt, und ihr fehlten die Liebe und Fürsorge der Mutter, die nur noch gestresst um den Neugeborenen herum wuselte. Entschlossen hatte sie damals der Mutter geholfen ...

Genau so entschlossen war sie heute, Charles zu helfen - und dann ihre Hilfe auf seine Sauf-Kumpane auszudehnen. Nach einer Stunde im Badezimmer und nachdem sie ihm einen Bademantel von Brian gegeben hatte, saß er ihr als ein einigermaßen vorzeigbarer Mensch in ihrer Küche gegenüber. Die Hälfte des Kühlschrankinhaltes hatte sie für ihn geleert und auf den Tisch gestellt, dazu Bier und Schnaps.

"Ist mal etwas anderes, eine gute Unterlage fürs Trinken zu haben", meinte er, "ganz so wie die feinen Leute." Und natürlich erzählte er dann auch noch etwas aus seinem Leben, das selbstverständlich nicht nur traurig und tragisch, sondern stellenweise auch schön gewesen war. Aber das Schöne war lange her, und seit vielen Jahren lebte Charles auf der Straße. Fleur hörte nur mit einem Ohr und damit auch noch unaufmerksam seiner Geschichte zu, denn sie war ganz verliebt in ihren Gedanken, ihm eine finale Hilfe zuteil werden zu lassen. Denn soviel erreichte Fleur von dem Erzählten: Er hatte resigniert die Hoffnung auf ein besseres Leben längst aufgegeben. Wenn ihm auch gerade in diesen Stunden ein Engel gegenüber saß ... und er für den Moment ein bisschen ins Träumen kam.

Schließlich hatte er gut gegessen, trank immer noch, hatte alles erzählen dürfen, was ihn bewegte und eine glückliche Zeit in einem Haus verlebt, und Fleur empfand es als den richtigen Moment, ihm zu helfen. Sie holte aus einem anderen Raum, in dem eine Bar stand, eine Flasche besten französischen Cognac und lockte ihn.

"Sie sollten den Geschmack dieses edlen Tropfens einmal kennen lernen!" sagte sie. Und begierig auf Alkohol jenseits seiner Vorstellungskraft ließ er sich ein Glas einschenken.

Charles' Todeskampf dauerte fast fünf Minuten, und Fleur empfand dies als eine reine Zumutung. Daran würde sie arbeiten müssen. Vielleicht einfach mehr von dem Gift in die Flasche schütten? Sie wollte heute nicht weiter darüber nachdenken. Nach den paar Minuten, die sich wie eine Stunde anfühlten, war er endlich gerettet. Und nur darauf kam es an. Sie hatte diesen armen Teufel gerettet, indem sie ihn erlöst hatte.

Stunden später kehrte Brian zurück. Er war zwar glücklich und zufrieden, eine ausgesprochen entspannte Fleur anzutreffen - aber selber sehr gestresst von diesem Tag. Nicht vieles war heute glatt gelaufen, es gab Probleme in seiner Bank.

Fleur massierte erst seinen Nacken und meinte dann, sie würde ihm ein Bad einlaufen lassen. Er nickte dankbar.

Als sie zurück kehrte, lag er in seinem Todeskampf. Neben sich die Flasche Cognac. Fleur schrie verzweifelt auf und war ehrlich entsetzt über das, was gerade vor ihren Augen passierte.

Er trank doch niemals Cognac, nur Whisky ... Nie, nie, nie trank er Cognac. Warum heute?

Ende

Copyright Silvia Gehrmann


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