Samstag, 11. Juli 2015

11. Juli 2015 - Geschichten - "Arme Teufel" - Teil 2 - Eine sehr böse Kurz-Geschichte

Schottland

Arme Teufel - Teil 2
Eine sehr böse Kurzgeschichte von Silvia Gehrmann


Umgehend verbesserte sich Fleurs Laune, und sie spürte einen Hoffnungsschimmer am einsamen Horizont ihrer Seele nahen. Den ersten Schwung ihrer Freude bekam Brian am Abend zu spüren, denn sie begrüßte ihn überschwänglich und freundlich, fast schon liebevoll. Wie lange hatte er es vermisst, sie fröhlich zu sehen? Seit geraumer Zeit machte er sich Sorgen um Fleur, und wusste trotzdem keinen Weg, ihr das Leben noch angenehmer und schmackhafter zu machen. Natürlich erkannte er, dass dahinter eine beginnende Depression stecken könnte. Und irgendwann würde er sie vermutlich aus dieser Einöde, die er so liebte, nach Edinburgh bringen müssen. Noch wollte er jedoch sein Refugium nicht aufgeben - es mussten andere Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Doch welche? Auch sich selbst hinterfragte er und musste feststellen, dass er ein ziemlicher Egoist war - der die geliebte Fleur vor der Welt verbergen wollte. Eigentlich hielt er sich nicht für einen dieser Männer, die an alten Traditionen fest hielten und ihre Frauen dominierten - aber so ganz von der Hand weisen konnte er gewisse Strukturen nicht, die ihn bestimmten.

So nahm Brian ihre Ausgeglichenheit an diesem Abend dankbar an und hoffte, sie wäre ein Zeichen, dass sie sich endlich arrangiert hatte. Vielleicht sollte er ihr einen Hund schenken? Vielleicht sollten sie an ein Kind denken? Aber von Kindern war Fleur noch weniger begeistert als er, das musste erst einmal auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Und um das fragile Gebäude ihrer Freundlichkeit an diesem Abend nicht zu zerstören, stellte er keine Fragen, sondern genoss einfach die gemeinsame Zeit - von der er sich nichts sehnlicher wünschte, als dass sie von Dauer sein sollte.

Unterdessen rumorte es in Fleurs Kopf: Sie musste diesen armen Teufeln helfen! Es würde kein einfaches Unterfangen werden, aber sie war fest entschlossen, sie einer Lösung auf Dauer entgegen zu führen. Wie diese Menschen lebten, konnte sie nicht hinnehmen. Und diese Aufgabe, die sie sich selbst gestellt hatte - ließ sie selber plötzlich charmant aufleben und aus ihrer Lethargie erwachen. Selbstverständlich bekam nicht nur Brian eine entsprechende Dosis ihrer neu erwachten Lebensenergie zu spüren.

Am nächsten Morgen war sie ebenso freundlich und verbindlich zu Mrs. Plimbury, die in ihrer robusten Art, mit der sie gegen jeden verbalen Angriff Fleurs gewappnet war, überhaupt nicht begriff, was mit ihrer sonst so miesepetrigen Arbeitgeberin passiert war. Diese Überdosis an Charme und Freundlichkeit machten sie jedoch nur misstrauisch - was war mit ihr passiert? Hatte Fleur an irgendetwas genascht? War sie vielleicht auch nur verrückt geworden? Sie fand keine Erklärung, erwartete aber, dass dieser Anfall von Liebreiz schnell vorbei gehen würde.

Während dessen machte Fleur ihren ersten Spaziergang in der Umgebung. Das gehörte zu ihrem Hilfe-Plan. Sie würde nach ein paar Schlenkern durch den Wald direkt an dem Standort der Obdachlosen vorbei kommen. Als es soweit war, warf sie ihnen nur einen sehr freundlichen Blick und ein kleines Lächeln zu. Mit Leckerchen lockt man Hunde an, mit Freundlichkeit Menschen. Aber direkt nach dieser Geste ging sie weiter. Für ihren Plan brauchte sie Geduld, denn die neuen Nachbarn sollten auf keinen Fall vor ihr die Flucht ergreifen oder sich überrumpelt vorkommen.

Brian genoss weiterhin sein neues entspanntes Leben mit Fleur, während sie jeden Tag zweimal die Runde machte - um ihren auserkorenen Hilfsbedürftigen ein Lächeln zuzuwerfen. Nach zwei Wochen war es bereits ein Wort. Nach drei Wochen bekam sie eine Antwort.

Wie ein kleines Mädchen freute sie sich über diese erste Antwort, die nur in den Worten "Guten Tag" bestand, aber den ersten Schritt in die richtige Richtung bedeutete.

Nach sechs Wochen kam endlich ihre Chance: Ein Mann stand ganz allein in dem von ihr so genannten Problemkreis. Und sie fragte ihn, wo die anderen seien. "Schnaps-Nachschub organisieren", antwortete der Mann mittleren Alters.

Einen kurzen Moment zögerte Fleur, dachte sogar an Rückzug. Doch sie hatte es sich in ihren hübschen Kopf gesetzt, diesen Menschen zu helfen, denn deren Leben empfand sie als unwürdig für humane Verhältnisse.

"Ich habe zu Hause jede Menge Alkohol. Und auch etwas zu essen", lockte sie, "und vielleicht möchten sie auch ein Bad nehmen und es sich mal so richtig gut gehen lassen?"

"Und ewig ruft das Weib", lallte der Mann, "das sind ja mal Aussichten." Sie bemerkte sein zögerliches Verhalten - und machte einen Schritt, als wollte sie ihn einfach stehen und seinem Untergang allein entgegen gehen lassen. Das wirkte.

"Meinen sie das wirklich? Alkohol, Essen, ein Bad? Sie sind aber kein Engel, und ich bin auch noch nicht tot?"

Sie lachte: "Klar meine ich das. Ich gebe nur von dem etwas ab, wovon ich zuviel habe. Kommen sie!"

Und er trottete neben ihr her, dieser nicht sehr gut riechende Mann mit der starken Alkoholfahne, die sie mehr als nur ein bisschen anwiderte. Aber da musste sie durch.

"Ich heiße Fleur", stellte sie sich vor.

Er wischte seine Hände an seinen schmutzigen Kleidern ab und reichte sie ihr: "Sie werden es nicht glauben, süßes Kind, ich heiße Charles Philip Artur George - meine Mutter hat es so gewollt."

Jetzt musste sie in der Tat lachen. Er hieß genau wie der Thronfolger. Und sie fragte sich belustigt, wie es wohl gewesen wäre, hätte Prinz Charles die Mutter seines Namensvetters gehabt - und dieser zerlumpte, versoffene Kerl Königin Elizabeth als Mutter.

Fortsetzung folgt ...

Copyright: Silvia Gehrmann


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