Freitag, 10. Juli 2015

10. Juli 2015 - Geschichten - Arme Teufel - Eine sehr böse Kurzgeschichte - Teil 1 -

Schottland


Arme Teufel

- Eine sehr böse Kurz-Geschichte von Silvia Gehrmann


In Fleurs' Leben war die Liebe eingekehrt, aber die Freude hatte sie - wenn sie es recht überlegte - am Traualtar liegen lassen, und niemand kam, um sie ihr zurück zu bringen. Wenn früher jemand von goldenen Käfigen gesprochen hatte, war es oft ihr heimlicher Wunsch gewesen, es sich selbst in einem bequem zu machen, das Leben passieren zu lassen, das Goldene zu genießen und der Prinzessin in sich eine gute Zeit zu gönnen. Bevor sie Brian kennen lernte, hatte sie als Model und Soap-Darstellerin gearbeitet, aber beides nur mit mäßigem Erfolg über die Bühne gebracht. Sie war nicht eine dieser vom Ehrgeiz zerfressenen jungen Frauen - sie hasste Castings, sie hasste es, früh aufzustehen - und eigentlich wusste sie noch überhaupt nicht, wohin ihr Weg sie führen sollte, und sie hasste somit auch den ihr unbekannten Weg.

Dann stand in einer Bar in Edinburgh plötzlich Brian neben ihr, der sie vom ersten Moment an überwältigte mit seiner Großer-Junge-Mentalität, die erahnen ließ, dass ihm nichts im Leben zu schwierig und unbequem war. Und ausgerechnet dieser auch noch gut aussehende Typ war von ihr hingerissen. Während sie ihren Träumen, die in einem Glas Champagner hockten, den sie sich kaum leisten konnte, nach hing, packte er sie zärtlich brutal und entführte sie in seine Welt.

Dort gab es keine lästigen Castings und Zickenkriege mit Konkurrentinnen und erst recht keine Geldsorgen. Hals über Kopf, Herz übers Ohr gehauen - hatte sie sich verliebt.

Nun saß sie seit einem Jahr als verheiratete Frau in seinem goldenen Käfig, den er ihr gut gepolstert und angenehm ausgestattet hatte - und träumte plötzlich nicht mehr von Champagner, den sie täglich haben konnte, aber nicht mehr wollte. Sie träumte von sich und den Möglichkeiten, die sie vielleicht nicht ausgeschöpft hatte, weil sie vorzeitig ihre eigenen Wünsche zu Grabe getragen hatte - der vielen Mühe wegen. Fleur musste einsehen: Sie war keine Kämpferin, lieber waren ihr Dinge, die passierten, ohne viel eigenes Zutun.

Ihr goldener Käfig war irgendwo auf dem Lande, weit ab von Edinburgh. Brian fuhr jeden Tag die lange Strecke, um ihnen beiden in seiner Bank das bequeme Leben zu finanzieren, und nach wie vor freute er sich, sie jeden Abend in seine Arme zu schließen, um mit ihr die Zeit zu genießen.

Fleurs Genuss lag im Dunkeln und ihr Verborgenen. Sie wusste weniger denn je, was sie aus ihrem Leben machen wollte. Brian wäre damit zufrieden gewesen, wenn sie nur als seine Frau durch die Welt zog (Welch ein Hohn! Welt! Er arbeitete soviel, dass sie davon recht wenig sah).

Nur etwa einmal im Monat gab es einen Anlass, zu dem sie in der Edinburgher Gesellschaft an seiner Seite den Glanz in diese bringen konnte - ansonsten saß sie auf dem Lande fest, und ihre einzige tägliche Abwechslung bestand aus der Gegenwart von Mrs. Plimbury. Mrs. Rosemary Plimbury war ihre Putzfrau, die sich jeden Tag ein paar Stunden um die große Villa kümmerte. Und Fleur hegte den stillen Verdacht, dass sie außerdem von Brian den Auftrag bekommen hatte, ein Auge auf sie zu werfen. Auf sie, die schöne Fleur, und auf ihre Stimmungen, die nicht selten in Launen ausarteten. So belauerten sich stellenweise zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können: Die eine jung und schön und uninteressiert an ihrem Leben, die andere, etwas älter, die sich ihren Lebensunterhalt hart verdiente und nicht danach fragte, ob ihr etwas Spaß machte oder es sie glücklich machte oder auch nur interessierte - sie tat einfach, was sie tun musste.

Wohin geht die Freude, wenn sie geht? - fragte sich Fleur und gab so ihrem Selbstmitleid einen gewaltigen Schub.

So stand sie an einem Nachmittag im Dämmerlicht an ihrem großen Panoramafenster zum Garten und während sie sich fragte, warum sie überhaupt hier war und nicht in Paris, New York oder Mailand oder überhaupt irgendwo, wo man sie wahrnehmen konnte - hörte sie in der Ferne leise Geräusche. Das war insofern seltsam, weil hier sogar die Stille eine Stille war, die einem Menschen eine Ahnung vom Grab zu geben vermochte. Leise, als könnte man sie hören und als Störung empfinden, öffnete sie die Tür - und trat in den Garten hinaus. Sie ging bis an den Gartenzaun, bis sie endlich sehen konnte, was sie vorher nur gehörte hatte.

Am Waldrand, der ein paar hundert Meter entfernt war, sah sie Leute. Herrje, Leute! In London, woher sie kam und wo sie bis vor einem Jahr gelebt hatte, hatte sie ständig Leute gesehen. Hier war das ein Ereignis. Aber sie konnte nichts Genaues erkennen.

Eilig lief Fleur ins Haus, denn irgendwo musste ein Fernglas sein. Brian beobachtete damit manchmal Wildtiere - nein, die Füchse, die sich hier "Gute Nacht" sagten, hatte er noch nicht gesehen. Aber Rehe.

Schnell hatte sie das Gewünschte gefunden und war in rasantem Tempo wieder auf ihrem Beobachtungsposten - als könnten die Erscheinungen so plötzlich verschwinden wie sie aufgetaucht waren. Die Angst, lebendige Wesen in dieser Einöde zu verpassen, wuchs sich zu einem riesigen inneren Drama aus. Es gab noch andere, die sich in dieser Ecke niederließen? Vielleicht ein paar Jugendliche, die den mitgebrachten Grill anwerfen wollten? Vielleicht eine Familie, die einen Ausflug machte?

Endlich konnte sie durch das Glas sehen, was sich hinter ihrer Entdeckung verbarg. Es waren mehrere Männer und eine Frau. Sie waren billig gekleidet und die Kleider schienen verschmutzt zu sein. Sie hatten alle ein ungepflegtes Äußeres. Ein paar Flaschen kreisten durch die Runde, Zigaretten wurden angezündet oder achtlos weg geworfen. Es wurde laut gelacht, auch mal geschrieen. Die Worte konnte sie nicht verstehen.

Oh je, dachte Fleur. Dort haben es sich Penner bequem gemacht. Und ein großes Mitleid überkam sie, das sich letztlich auch auf sie selbst fokussierte.

Arme Teufel, dachte sie, arme Teufel.

Fortsetzung folgt ...

Copyright: Silvia Gehrmann



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