Foto: Biene/Madam Tussauds
Ein Erfahrungsbericht aus einer Doppelgänger-Agentur von unserer Viktualia Suleyka:
Schickimicki
Und rrrummms. Heftig knallt die Eingangstür auf. Eigentlich müsste jetzt der Putz von der Flurwand rieseln, stünde da nicht jede Menge Gerümpel im engen Gang der Plattenbauwohnschachtel. So wird das spektakuläre Entree aber sanft abgefedert von zwei großen rissigen Pappkartons und mehreren vollgestopften Plastiktüten.
Sie sieht unglaublich aus, die Frau, die da gerade herein fegt: Tigerbarett auf streng zurückgebundenem tiefschwarzen Haar. Knieumspielende Tigerplüschjacke über schwarzwallender Seidenhose. Riesige schwarzgoldene Scheiben zieren die Ohrläppchen und frischgeschminkte, dunkelrote Lippen schimmern sündig. Strass besetzte High-Heels komplettieren die Femme-fatale, deren Stil zweideutig zwischen Mortica Addams und Puffmutter mäandert.
Die grande Dame pfeffert ihre Einkäufe stöhnend auf den Couchtisch des vollgestopften Wohnbüros. Es klirrt gefährlich, als Zweiliter-Magnum-Glühweinflaschen hart auf die runde Glasplatte treffen. Rose zuckt nicht mal mit einer ihrer spinnenbeinlangen künstlichen Wimpern. Nur der ältere Herr auf dem Sofa erschrickt. Die anderen fünf Männer und ein hübsches junges Mädchen schauen hingegen kaum von ihrer Lektüre auf, sie blättern ungerührt weiter in bunten Illustrierten.
„Da sind sie ja endlich, wir waren doch um 18.00 Uhr verabredet“, sagt der schreckhafte Senior mit resigniertem Vorwurf in der Stimme. „Ach, Kinder“ antwortet Tigerlilly pathetisch „die Tür hab ich doch offen gelassen und ihr sitzt hier doch gemütlich. Habt ja keine Ahnung, wie ich für euch schufte! Hab ich etwa heute Nacht geschlafen? Nein! Gearbeitet hab ich und jetzt war ich nur mal schnell einkaufen. Für euch, damit ihr was zu knabbern habt, ich…“, schrilles Telefonklingeln unterbricht den schrillen Monolog. Die Lady reißt sich geschwind einen der handtellergroßen Ohrclips ab und gurrt in die Sprechmuschel: „Guten Tag, internationale Doppelgängeragentur, wer ist denn da Schönes?“
Während sie spricht, bedeutet sie dem jungen Mädchen pantomimisch, Chips, Cracker und Wein auszupacken und alle damit zu versorgen.
„Was, Schauspielschule abgeschlossen, hm, hm, kein Engagement? Tja das Leben ist hart, Schätzchen. Soso, Sean Connery und Burt Reynolds können sie machen, schöne Männer die beiden. Gut Liebchen, dann komm doch vorbei, dann sehen wir mal“, nachdem sie Reynolds/Connery die Adresse diktiert hat, knallt Rose den Hörer auf die Gabel und dreht sich mit strahlendem Lächeln zu der Gesellschaft auf der Sitzgruppe um.
Einige von denen sehen einigen von denen, die berühmt sind, berüchtigt, prominent oder alles auf einmal , ganz schön ähnlich. In dieser Dreiraumwohnung am Rande des Ostberliner Plattenghettos studiert eine, die aussieht wie Pamela Anderson die GALA, also eindeutig Fachliteratur. Und neben der Schönen: Henry Maske, Herbert Feuerstein, Frank Zander. Albert Einstein ist der schreckhafte ältere Herr und Erich Honecker schmunzelt gelöst unter seiner Kassenbrille.
Nun ja, etwas guten Willen und ein wenig Kurzsichtigkeit braucht man schon, um die Unterschiede kleinzureden. Einsteins Stirn war doch relativ höher, Maskes Gesicht ist nicht ganz so unversehrt und eigentlich ja auch im Original schon recht ausdrucksarm und hat Pam nicht blaue Augen? „Nee, die trägt Kontaktlinsen, mach ick bei Auftritten ooch“, sagt die 20-jährige Eva und lächelt rehäugig. Auf jeden Fall ist sie Pamela Anderson da, wo bei einer wie ihr zuerst hingeguckt wird, überaus ähnlich.
Mehr als 2000 Doppelgänger hat Rose im Angebot. Von Tom Selleck über das Ehepaar Clinton, von der Queen, Marylin Monroe, bis zu Pavarotti ist alles vertreten, was in Politik, Kultur, Adel und Sport Rang und Namen hat. Ihre „Lookalikes“ bleiben aber anonym, ein ehernes Gebot der Firmenchefin gegen Abwerbungsversuche der Konkurrenz: „Die Branche ist ein Haifischbecken“, seufzt sie theatralisch. In dem hat sie allerdings schon locker den Freischwimmer.
Sie selbst gönnt sich auch dann und wann einen Auftritt, eröffnet Einkaufszentren, Kinocenter oder Restaurants. Als Kostprobe ihrer Starqualitäten zerrt sie eine billige braune Perücke aus einer der unsäglichen Kaufhaus-Plastiktüten und stülpt das glänzende Kunsthaar - ohne in den Spiegel zu gucken - über den Kopf. Zupft hier und da dünne Strähnchen zurecht, hüllt sich in einen langen Pseudopelz mit dramatischem Glamourkragen und tänzelt affektiert mit erhobenem Winkehändchen auf und ab. Verblüffend: Die Frau hat sich vollkommen verwandelt und wirkt wahrscheinlich glaubwürdiger als Liz Taylor persönlich.
„Meine Schäfchen und ich machen Talkshows, Werbung, Galas, Disco-Auftritte und Einweihungen“. Der 65-jährige Honecker- Horst ist nachtaktiv: erschreckt in Diskos mit Mitternachtsreden. Gekonnt verfällt er in den spröde ungeschickten Ton des Ex-DDR-Bosses, läuft zu Hochform auf, wenn er die Faust zum SED-Gruß an den unvermeidlichen Spießerhut hebt. „Meine Frau findet das ganz schrecklich peinlich was ich mache“, kichert der Rentner aus Ostberlin vergnügt. Das zusätzliche Einkommen wird die Gattin aber wohl doch zu schätzen wissen.
Sie komme indes eher nicht zu Wohlstand, klagt Rose. Zwar kassiere sie 20 % von jeder Gage, dafür sei sie aber auch Tag und Nacht im Einsatz. „Ich schufte wirklich wie ein Pferd, manchmal hätte ich gerne ein klitzekleines bisschen mehr Zeit für mich“, gesteht die alterslose ehemalige Vorstandssekretärin wehmütig.
Trotzdem protestiert sie vehement, als Einstein, Anderson und Konsorten aufbrechen wollen, weil alle Termine festgelegt und alle Einsätze besprochen sind. Fast scheint es, als flüchteten sie vor den anstrengenden Selbstdarstellungskünsten und dem ungebremsten Redefluss ihrer Gastgeberin.
Als sie dann aber die Tür von draußen zumachen, empfinden sie in der plötzlichen Stille, dass, wie mit dem Dimmer heruntergedreht, das Leben plötzlich ein klein wenig grauer und langweiliger scheint.