Freitag, 25. Januar 2019

25. Januar 2019 - Ruhr-(S)pöttisch



Ruhr-(S)pöttisch

Jeder kennt hier jemanden, der entweder Bergmann war oder im Stahlwerk malocht. Malochen ist der regionale, etwas drastischere Begriff für arbeiten, umschreibt aber auch, dass Arbeit gefährlich sein kann. Natürlich empfinden das Leute, die tagein, tagaus an ihren Schreibtischen sitzen ... ebenso und bedauern nach einiger Zeit den Zustand ihrer Wirbelsäulen. Aber hier im Ruhrpott hat man Rückgrat, da kommt so ein bisschen Wehweh gar nicht gut an und daher wird es mit "Augen zu und durch" umschifft. Gestählt durch die harte Vergangenheit gilt Jammern als ein Gefühl, das eher vom Hörensagen kommt und verpönt ist.

Jeder hier kennt auch mindestens einen Taubenzüchter oder zumindest einen Menschen, der einen dieser Spezies kennt. Ohne Tauben ist das Gebiet nicht rührig genug. Desweiteren machen wir nicht gerne mehr Worte als unbedingt nötig, denn nur das Wichtigste ist erwähnenswert. Nebenbei atmen wir aus lauter Liebe zum Gebiet nicht wirklich gute Luft ein - auch das macht das Palavern unnötig schwer. Lässt man sich doch mal zu einer längeren Ansprache hinreißen, so gilt sie meistens einem Ärgernis, das sich Luft machen will. "Dumme Kuh" oder "Hohle Nuss" ist hier kein Schimpfwort, sondern umgangssprachlich. Trotzdem sollte man vorsichtig sein und die abprallende Wirkung nicht an Ordnungshütern ausprobieren - die sind schon mal zugereist und kennen sich mit unserem Jargon nicht wirklich aus.

Fan sein bedeutet im Ruhrgebiet die heikle Spaltung zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04. Die hebt sich kurzfristig nur dann auf, wenn Borussia mal wieder um einen Titel abseits der Bundesliga kämpft, denn dann rufen auch die Gelsenkirchener "Heja BVB".

Manche mögen sogar Herbert Grönemeyer - aber letztlich war der nur zugereist, lebt sicher nicht mehr in Bochum und beherrscht kein Wort unserer rührenden Sprache. Und Nuscheln gilt hier als Lügen verbreiten. Hier sind der kleine Mann und die kleine Frau zu Hause, und die sind allesamt der Wahrheit verpflichtet. Dass diese schon mal brennend weh tun kann, müssen Durchreisende hier und da leidvoll erfahren. Außerdem muss man hier geboren worden sein, um ein Ruhr-(S)pöttler zu sein. Alles andere zählt nicht.

Angeber sind die Ruhrgebietler in ihrer Gesamtheit überhaupt nicht - und sie mögen auch keine Leute, die ihre Statussymbole zur allgemeinen Bewunderung zur Schau stellen. Das widerspricht der Bescheidenheit des Ruhrgebietlers. Hier trinkt man lieber Bier als Champagner. Und Armut gehört zum Grundbedarf wie der manchmal trockene Humor, der auch nicht überall verstanden wird.

Doch

dies und vieles mehr sind Klischees, die ganz nett sind. Aber nett ist auch eine kleine Schwester ... und die hat sich entwickelt. Wie das nun mal so ist, entwickelt sich nicht jeder zu seinem Vorteil, aber das kann man sehen wie man möchte.

Was ich früher als einen Angriff auf alles Erlernte und Anerzogene verstand, war nur der Klang der Heimat. Und in der wurden gerne Dativ und Akkusativ verwechselt. Mein Vater brachte mich damit regelmäßig zur Weißglut, während meine Mutter verhinderte, dass ich das übernahm. - Heute hört man diese Töne nur noch selten ... und ich bedaure das.

Armut wird auch im Ruhrgebiet nicht mehr hoch angesehen, da sie andere Dimensionen erreicht hat. Früher war der Kumpel nicht gerade mit Reichtümern gesegnet, obwohl seine Arbeit eine der härtesten überhaupt war, für die man in nicht nur seine Knochen, sondern sogar seine inneren Organe kaputtmalochte. Die heutige Armut trifft andere, mal unverschuldet, mal auch selbst herbeigeführt.

Die Luft ist viel besser als es unterstellt wird, und wir haben mehr Grünflächen als jemals jemand glauben würde, der noch nie hier war. Und nach einem langen Waldspaziergang oder einem an Rhein und Ruhr oder auch Emscher kippen wir zwar immer noch gerne unser Bierchen, aber es darf durchaus auch mal Champagner sein.

Im übrigen ist der "Männer-Schnupfen" hier genau so schlimm wie überall. Von wegen keine Wehwehchen zulassen ... das war einmal!

Wie so vieles andere auch. Es gibt keine Schächte mehr, aber die Schicht im Schacht ist immer noch höchst beliebt. Na ja, neudeutsch heißt das eben Chill-Out. Meinetwegen.

Manche Leute hier reden sogar mehr als sie eigentlich sollten ... ich gehöre auch dazu (schließlich muss ich all das nachholen, was meine Vorfahren zu wenig gesprochen haben - dem fühle ich mich verpflichtet), und trotzdem ist jetzt

Feierabend. Oder auch Schicht im Schacht.


Guten Tag, Gruß Silvia

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