Chanel, die Corona-Hündin ...
Lisa war überglücklich mit ihrer neuen Chanel-Handtasche, auf die sie lange warten musste - und verlegte ihre Aktivitäten mehr als üblich in die Öffentlichkeit. Die Tasche musste spazieren geführt werden, in Restaurants auf den Tischen liegen und allen Blicken beweisen, dass sie sich Luxus leisten konnte.
Dann kam Corona.
Die Restaurants blieben geschlossen. Die Straßen wurden leerer. Es gab keine Konzerte mehr und Theaterbesuche waren unmöglich geworden. Auch Lisa arbeitete nun im Homeoffice. Sie konnte nicht mehr mit den Kollegen Make-up-Tipps austauschen und ihre neuesten Klamotten vorführen. Die Angst, jetzt völlig zu verlottern, machte sich in ihrem Kopf breit. Zwar machte sie sich manchmal noch schick gestylt auf den Weg durch die Stadt, um sich selber spazierenzuführen - aber das Straßenpublikum war schließlich weniger geworden - und man hatte den Eindruck, dass viele auf ihr Äußeres kaum noch Wert legten.
Mit Schrecken dachte Lisa an eine Ausgangssperre, die immer im Raum stand: dann hätte sie nur noch zum Supermarkt und zu einem Arzt gehen dürfen. Doch
Lisa war gar nicht dumm oder einfallslos: es gab einen Ausweg aus vielerlei Dilemma der Pandemie:
Ein Hund!
Er würde ihr die Single-Einsamkeit vertreiben und sie vor konsequenten Ausgangssperren bewahren.
Es war überhaupt nicht schwer, an einen Hund zu gelangen - die Angebote überschlugen sich, die Tierliebe blieb zwar gleichermaßen auf der Strecke, aber Lisa meinte es zumindest am Anfang
ehrlich mit ihrem Wunsch nach einem Hund. Sie kaufte bei einer angeblichen Züchterin ein Pudelmädchen aus dem Internet
und nannte das kleine 6 Monate alte Wesen "Chanel".
Der Pudel Chanel
Die apricotfarbene Hündin passte hervorragend zu ihren roten Haaren. Richtig schick und attraktiv sahen sie zusammen aus, ein echter Hingucker. Die wenigen Passanten, die sie auf ihren Spaziergängen traf, sahen Lisa endlich wieder hinterher. Wenn sie dann noch nach Chanel rief, und das nicht, weil Chanel weit von ihr wegrennen konnte und sie zurückkommen sollte, denn sie war angeleint - dann war ihre Mini-Show perfekt. Lisa hatte Aufmerksamkeit, die allerdings die überkandidelt genannte "Chanel" nicht im mindesten interessierte.
Zuhause konnte sie mit Chanel kuscheln - wenn sie ihr nicht gerade lästig wurde. Denn Chanel war ein Pudel und gehört somit zu den zweitintelligentesten Hunden überhaupt. Sie wollte nicht nur couchen und kuscheln, sie wollte lernen und arbeiten ...
und wurde immer unzufriedener. Diese Unzufriedenheit führte Lisa jedoch keineswegs auf ihr eigenes Unvermögen, einen Hund zu erziehen, sein Leben zu bereichern und ihn zu beschäftigen, zurück, sondern auf Chanels
nerviges Pudel-Wesen. Chanel bellte und jaulte. Sie entzog sich ihr. Und manchmal schnappte Chanel sogar nach ihrer Hand.
Die Fake-Chanel
Chanel war eben keine Handtasche oder ein Parfüm, mit dem man eigene Unzulänglichkeiten überdeckte, sondern durch und durch ein Hund. Sie war auch kein Luxusgegenstand, sondern ein fühlendes Lebewesen, dem man gerecht werden musste. Ebenfalls ungeeignet zeigte sie sich als Accessoire: hätte Lisa sie auf ihren nun kürzer werdenden Spaziergängen abgeleint,
Chanel wäre kopflos weggelaufen, nur um diesem für sie falschen Leben zu entkommen.
Lisa dachte nicht daran, sich Hilfe zu holen, um sich etwas Hunde-Verstand einpauken zu lassen. Für sie stand fest: Chanel war eine falsche Schlange - und
sie hatte die Nase endgültig voll von ihr.
2. und 3. Hand ... und die vorläufige Endstation
Lisa fand schnell eine Abnehmerin für die unbrauchbar gewordene Chanel: eine entfernte Bekannte hatte bereits als Kind viele Stofftiere und einen Wellensittich (leider nur einen einzigen, was das Schwarmtier schon damals depressiv gemacht hatte) besessen,
dass sie fest daran glaubte, die kleine Pudelhündin in die richtige Spur zu bringen. Aber bereits das dritte Häuflein auf dem weißen Teppich brachte sie an ihre Grenzen
und Chanel in wiederum andere Hände.
In diese Händen biss Chanel sich fest, und danach war klar: sie musste ins Tierheim.
Chanel im Tierheim
Leider war Chanel in der Zwischen-Leid-Zeit zu einem Problem-Hund geworden. Im Tierheim wurde sie sofort als Corona-Überbrückungs-Hündin erkannt: angeschafft aus Egoismus, bei Nichtgefallen der Allgemeinheit übereignet.
Sie war den Menschen nicht zugeneigt, bissig und störrisch. All die Anzeichen von Chanels Verzweiflung waren nicht erkannt worden.
Jetzt müssen richtige Hunde-Experten Chanel auf den ursprünglichen Kurs zurückbringen, den sie von Natur aus gehabt hatte: ein liebe- und vertrauensvoller, ausgefüllter und ihren Neigungen entsprechend geförderter Hund zu sein.
Es liegt viel, viel Arbeit vor der kleinen Chanel, die nun Klärchen heißt ... weil der Name Chanel für eine Hündin einfach nur albern ist. Obwohl das natürlich eine kleine Nebensächlichkeit zwischen den vielen wirklichen Dingen und Lern-Lektionen ist, die vor ihr liegen.
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