Samstag, 25. Februar 2023

25. Februar 2023 - Inges Wohnung ...




Inges Wohnung ...

Viele Jahre bin ich dort nicht mehr vorbeigegangen. Ein wenig aus reinem Zufall, aber andererseits habe ich diese Straße in der Stadt auch gern gemieden. Sie bringt die Erinnerungen zurück, obwohl das gar nicht nötig ist. Ich denke auch ohne visuelle Erinnerungen oft an Inge.

In der letzten Woche bin ich gezielt dort vorbeigegangen, und auf der gegenüberliegenden Seite ihres damaligen Wohnhauses bin ich stehengeblieben. Ich sah zu den Fenstern hinauf, hinter denen sie zuletzt gelebt hatte. Und nicht nur gelebt hatte sie dort oben, sie ist auch dort gestorben. Es fröstelte mich leicht, obwohl es an diesem Wintertag recht warm war. Welche Gedanken mögen ihr durch den Kopf gegangen sein, als sie den finsteren Entschluss traf, sich in der Badewanne das Leben zu nehmen? Ich erinnere mich, dass ich am Morgen nach ihrem Tod (von dem ich erst später erfuhr, weil man sie erst etwa zwei Tage später aufgefunden hat),

auf meinem Anrufbeantworter ein fürchterliches und unverständliches Gestammel beim Abhören vorgefunden habe. Es klang, als hätte jemand aus einem Grab heraus ins Telefon gestammelt, um mir seine letzten Worte zu hinterlassen.

Ich hielt diesen Anruf zunächst für eine Verwähl-Nummer.

Ich erkannte ihre Stimme nicht, und dennoch muss sie es gewesen sein, die mich noch kurz bevor sie für immer eingeschlafen ist, angerufen hat. Sicher hätte sie gewollt, dass ich ihre Worte verstand - aber leider war das nicht der Fall.

Nun sah ich zu ihrer Wohnung hoch und fragte mich, wer jetzt wohl dort lebt? Und ob derjenige in dieser Wohnung glücklich ist. Allerdings konnte ich nicht einmal erkennen, ob die Wohnung überhaupt vermietet ist. Ein helles heruntergezogenes Rollo hing an jedem nach vorn sichtbaren Fenster.

Vielleicht lebt nur Inges unruhiger Geist dort weiter, dachte ich, ganz entgegengesetzt zu allem, was ich eigentlich glaube. Oder eher nicht glaube. Es gibt keine Geister. Aber wenn doch ... dann in der Wohnung einer Selbstmörderin, die ich sehr geliebt habe.

Ich habe ihr den Suizid nie verziehen. Inge war erst 42 Jahre alt, als sie sich auf und davon machte - und ihre alte Mutter, die sie in sehr späten Lebensjahren bekommen hatte, zurückgelassen hat. Auch das werde ich ihr nicht verzeihen. Ich habe noch die tieftraurige Stimme ihrer Mutter in den Ohren, die mich anrief, nachdem sie selber Inge gefunden hatte ...


Inge

war eine hübsche Frau, die mit ihrem nicht ganz so hübschen Eigenwillen gern durch die Wand ging. Ich werde sicher nicht alles und noch nicht einmal viel von dem schreiben, was Inge ausgemacht hat, denn neben ihren dunklen Seiten hatte sie viele gute Charaktereigenschaften.

Beruflich war sie verbeamtet, aber ihren Arbeitsplatz nannte sie "Tal des Todes". Andererseits liebte sie "Das Büro" - aber das war eine Kneipe gleich neben ihrem Wohnhaus. Viele Prominente gingen hier auch ein und aus: u. anderen Ilja Richter, immer im Schlepptau seiner Mama,  und Udo Jürgens, denn gleich in der Nachbarschaft ist ein Nobelhotel.

Das Hotel gibt es noch. Die Kneipe gibt es nicht mehr, wie ich vor ein paar Tagen festgestellt habe.

Inge hat Karneval geliebt, und sie war wohl die erste meiner Freunde, die Halloween zur Kenntnis nahm. Das wurde erst nur in rein amerikanischen Gaststätten gefeiert. Und Inge war mittendrin. Sie hat es immer in Düsseldorf zelebriert - ohne mich, ich mache mir weder aus Karneval noch aus Halloween etwas.

Sie hat viele dieser Feiern seit ihrem frei gewählten Tod verpasst.

Und viele Jahre ihrer Lebenszeit sowieso. Sie könnte heute noch munter am Rad drehen, was so ganz nach ihrem Gusto war. Sie könnte noch immer die entzückende, verrückte, überkandidelte Inge sein, die sie war.

Oder eben auch eine geläuterte, die endlich zur Ruhe gekommen wäre. Obwohl das schwer vorstellbar ist.

Trotz unserer Verschiedenheit waren wir beste Freundinnen, wenn wir uns auch oft ziemlich gestritten haben.

Kurz vor ihrem Tod hatte ich ihr wieder einmal eine klare Ansage gemacht, dass ich eine längere Weile unseren Kontakt unterbrechen (nicht abbrechen) würde.

Als ihre Mutter mir am Telefon nicht nur Inges Tod mitgeteilt hat, sondern auch gesagt hat, dass Inge mich sehr vermisst hätte ...

habe ich Inge auch dieses Vermächtnis nicht verziehen.

Ich hätte ihr vielleicht helfen können in dieser Lebensabschnitt-Endstimmung ... andere auch. Aber sie hat ihren Freitod so inszeniert, dass niemand sie hätte retten können. Allen hatte sie von einer kurzen Reise erzählt ...

erst als ihre Mutter nach der angeblich geplanten Rückkehr nichts von ihr hörte, fuhr sie zu Inges Wohnung.

Dort fand sie nur noch ihre tote Tochter in der Badewanne vor ...

Hoffentlich, meine liebe Inge, hast du dort, wo du ihn gesucht hast, deinen Frieden gefunden. Mein obige Rose ist für dich, auch, wenn du Schnittblumen nie mochtest ... vielleicht gefallen sie dir inzwischen.


Guten Tag, Gruß Silvia 



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