Samstag, 9. Oktober 2021

9. Oktober 2021 - Meine Oma Josefine

 
Josefine, meine Oma


Meine Oma

Sie ist bis heute für mich der liebste Mensch (neben meinem Vater - meine Mutter habe ich auch geliebt, sie allerdings sehr oft nicht gemocht - und umgekehrt). Mein allererstes Wort soll "Amma" gewesen sein, eine Mixtur aus Oma und Mama. Ich glaube, in diesem Moment erster Wortäußerung begann die sehr oft schwierige Beziehung zu meiner Mutter.

Es hat ihr in dem Wort die Eindeutigkeit gefehlt.

Meine Oma war die wichtige Bezugsperson, die immer auf meiner Seite stand, ob ich nun im Recht oder im Unrecht war. Es war die Liebe zu mir, die an ihrer Neutralität gekratzt hat.

Umgekehrt wäre ich für sie durchs Feuer gegangen.

Ihr ganzes Leben hat meine Oma sich für aktuelle Ereignisse und für Politik interessiert, und auch - geboren am 27. August 1902 - im Dritten Reich eine menschliche Haltung gezeigt. Darüber hat sie nie selber gesprochen,

aber es wurde mir erzählt. Einzelheiten vernachlässige ich jetzt.

Heute geht es um die scheußliche Erkrankung


Demenz

die sie im hohen Lebensalter erdulden musste.

Es begann so schleichend, dass ihre nächsten Angehörigen und auch ich nur die Anfänge vermuten, aber nicht zeitlich sicher festlegen können.

Irgendwann las sie keine Zeitungen oder verstand den Inhalt zumindest nicht mehr. Sie interessierte sich zunehmend weniger für die wichtigen Ereignisse in der Welt. Bis eines Tages alles in einem Nebel verschwand.

Was allerdings völlig fehlte, war die Aggression, die zum Beispiel ein Symptom für Alzheimer-Patienten ist. Als wären sie nicht schon genug durch den Verlust der meisten Erinnerungen geplagt, wird dadurch auch der aufopferungsvollste Umgang mit ihnen schwer - bis unerträglich.

Meine Oma jedoch war bis zu ihrem Tod die liebenswürdigste Person, die ich je gekannt habe. Das war sie vor ihrer Demenz - und währenddessen.

Dass sie mit ständigen Wiederholungen von Fragen ihr Umfeld ein wenig nervte, war das Problem ihrer Familie, nicht ihres.

Besonders meine Mutter als Schwiegertochter fand den Umgang mit ihr anstrengend. Dabei hatten sie zueinander immer ein gutes Verhältnis - nur leicht getrübt durch mich, die Oma immer wichtiger war als alle anderen. Das ist auch keine Einbildung oder ein Wunschdenken, sondern eine Tatsache ... sie hat, um für mich da zu sein,

alles ihres eigenen Lebens aufgegeben.

Vermutlich war sie nach drei Söhnen auch zusätzlich besonders froh über eine Enkeltochter.


Bis zu ihrem Tod

hat sie mich trotz ihrer Demenz immer zweifelsfrei erkannt und beim Namen genannt. Auch ihre ihr verbliebenen zwei Söhne hat sie kaum je verwechselt.

Wenn ich bei ihr war - und das war jede Woche der Fall - hat sie manchmal traurig erwähnt, dass ihr Sohn Franz, der auch in Dortmund lebte, sie nie besuchen würde. Das stimmte allerdings nicht, denn mein Onkel war jeden Tag bei seiner Mutter.

Vielleicht hat sie auch über mich das gleiche erzählt ... man hat es mir zumindest nicht berichtet.

Ich lebte zu dieser Zeit nicht mehr in Dortmund, weshalb ich sie nur einmal pro Woche besuchte.

Mehr und mehr suchte sie in ihrer Vergangenheit, die sie allerdings nicht mehr gut zusammenflicken konnte. Sehr traurig ist mir etwas in Erinnerung geblieben:

Ihr Mann Silverius starb schwerkrank (er war Bergmann) mit 47 Jahren. Ich habe ihn nie kennengelernt.

Die Eltern meiner Oma waren natürlich schon viel länger tot.

Aber Oma sagte eines Tages: "Dass Silverius mich nicht besuchen kommt, kann ich verstehen: er ist ja so krank. - Aber

dass meine Eltern nicht mal vorbeikommen, finde ich ausgesprochen bedauerlich."

Dies ist nur ein kleiner Einblick in eine der scheuslichsten Erkrankungen. Wie es tief im Innern dieser Menschen aussieht ... wer kann es schon sicher sagen?

Meine Oma starb mit 84 Jahren 1986. In meinen Gedanken ist sie jeden Tag gegenwärtig.

Mein Onkel, ihr Sohn Franz,  hatte später auch Alzheimer ... und trotz dieser Erkrankung hat er seine Mutter nie vergessen. Er lief täglich zu ihrem Grab - und das wurde ihm an einem Tag in den 2000er Jahren zum Verhängnis. Darüber habe ich bereits einmal geschrieben. Es täte mir zu weh, dies hier noch einmal zu berichten.


Guten Tag, Gruß Silvia 

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