Freitag, 20. November 2020

20. November 2020 - Ein 10-Euro-Schein geht auf die Reise



Ein 10-Euro-Schein geht auf die Reise

Der 10jährige Junge hatte 10 Euro von seiner Oma bekommen, und  der Schein war noch druckfrisch, als er diesen in den Händen hielt. Das war 2002, der Euro war gerade eingeführt worden, und der Junge sollte ein Gefühl dafür bekommen, wie das Geld, das die Deutsche Mark ablöste, sich anfühlte. Und ihm kam die Idee, den Schein mit einer kleinen Zeichnung zu versehen,

bevor er ihn im nächsten Geschäft auf die Reise schickte.

Danach vergaß er den Geldschein, denn er war damit beschäftigt, älter und erwachsener zu werden.

Wohin ging der Schein, nachdem der Junge ihn ausgegeben hatte?

Auf jeden Fall ging er auf eine sehr lange Reise, sammelte Fingerabdrücke und Fett- und Weinflecken, vielleicht auch welche von Koks, und machte die Leute nur in Verbindung mit vielen anderen Scheinchen glücklich. Denn allein ist dieser Schein nicht viel wert - und ruckzuck ausgegeben.

Einmal landete er bei einem Obdachlosen, der sich allerdings sehr über den unerwarteten Geldsegen freute. Er drehte ihn in den Händen und warf ihn in die Luft wie eine Münze:

sollte er aufs Bild fallen, würde er sich Bier kaufen. Sollte er auf die andere Seite fallen, würde er Futter für seinen Hund kaufen.

Er warf den Schein so lange, bis der sich fürs Bier entschied.

Irgendwann war der Schein in der Hand einer bekannten Person, einer Künstlerin. Da schrieben wir bereits das Jahr 2020, und sie fragte sich,

ob sie diesen Schein nun - zusammen mit ein paar anderen - für etwas Luxus ausgeben sollte oder in Anbetracht der allgemeinen Lage doch lieber sparen sollte.

Sie entschied sich für ein wenig Luxus.

Ein paar Tage später fand sich der Schein in der Hand einer jungen Frau wieder. Sie steckte ihn in ihre Geldbörse, und irgendwie verschwand er daraus. Vielleicht zog sie ihn versehentlich mit hinaus, als sie Kleingeld fürs Parken brauchte.

Inzwischen war der Schein wirklich in die Jahre gekommen. Da lag er nun auf dem Pflaster, und ein lauer Wind trug ihn weiter und weiter ...

bis er dem Jungen von damals direkt vor die Füße fiel. Es ist ja nichts Besonderes, mal einen 10-Euro-Schein zu finden,

dachte er, bückte sich

und erkannte seinen markierten Schein von damals. Inzwischen war er kein Junge mehr, sondern 28 Jahre alt. Seine Oma war ein Jahr zuvor verstorben. Er war gerade Vater geworden und seit zwei Jahren verheiratet.

Beim Anblick seiner Markierung von damals musste er lächeln.

Der junge Mann zog den Geldschein aus dem Verkehr. Er nahm dieses späte Wiedersehen als eine glückliche Fügung und rahmte ihn.

Und manchmal fragt er sich, vor dem gerahmten Schein stehend, was dieser wohl alles in den letzten und seinen ersten 18 Jahren erlebt hatte.

Niemand kann diese Frage beantworten.


Guten Tag, Gruß Silvia 

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