Franz B.
Ohne Robin (Bienchen kam erst später dazu) und seinem eigenen Hund Boomer hätte ich Herrn B. nie kennengelernt, denn er wäre mir nirgendwo besonders aufgefallen, und auch altersmäßig trennten uns viele Jahre. Er war ein paar Jahre jünger als meine Mutter.
Ich weiß nicht mehr, wer wen zuerst angesprochen hat, aber wenn sich Hunde-Freunde zufällig z. B. im Stadtpark über den Weg laufen, kommt es oft vor, dass man sich schnell in einem Gespräch wiederfindet. Zuerst geht es natürlich um die Hunde. Sie sind der Schnittpunkt, an dem manchmal Freundschaften entstehen. Meistens sind es nur vorübergehende oder wiederkehrende, oberflächliche Bekanntschaften.
Zwischen Herrn B. und mir entstand im Laufe der Jahre jedoch eine Freundschaft. Zwar blieben wir immer beim "Sie", das aber durchaus und hin und wieder durch das vertraute Freundschafts-Du unterbrochen wurde. Das geschah immer wieder einmal, wenn die Gespräche tiefer und persönlicher wurden.
Reisen
Durch Zufall kamen wir auf unsere Reisen zu sprechen, er auf seine, ich dann auch auf meine. Und besonders die Fernreisen betreffend, stellten wir fest, dass es viele Länder gab, die sowohl er als auch ich bereist hatten. Darüber gab es jede Menge an Gesprächsstoffen.
Seine Reisezeit war jedoch vorbei. Sie hatte geendet, als seine 1. Ehefrau mit nur etwas über 50 Jahren starb.
Inzwischen hatte er wieder geheiratet - nicht aus Liebe, sondern, um nicht allein zu sein ... Dieses Bekenntnis kam natürlich erst nach längerer Freundschaft. Wenn Franz B. ein Gespräch mit "meine Frau" begann,
wusste ich schnell, dass er immer nur über die 1. sprach, nie oder ungern über die damalige.
Er hatte seine 1. Ehefrau damals, von der Arbeit heimkehrend, tot im Badezimmer aufgefunden. Ein sehr plötzlicher Tod. Wer so etwas schon einmal erlebt hat, der weiß, dass in solch einem Fall immer die Polizei ins Privatleben eintritt. Es muss geklärt werden, wie es zu dem Todesfall gekommen ist ...
Frau B. hatte einen Herzinfarkt erlitten.
Ostpreußen
Er stammte - wie meine Mutter - aus Ostpreußen, und war als Kind irgendwann nach dem Krieg in Essen/NRW gestrandet. Aber die Vergangenheit und die manchmal passierende Verklärung derselben, ließ ihn nie los. Neben seiner eigenen Vergangenheit war er an allen geschichtlichen Vorgängen ausgesprochen interessiert - aber das wäre ein zu weites Feld für diesen Blog-Beitrag, der ja auch nicht langweilig werden soll.
Für Franz B. war in der Tat "früher alles besser". Mal meinte er seine 1. Ehe mit diesem "früher", mal ging er noch weiter zurück und meinte seine Kindheit in Ostpreußen. Im Gegensatz zu meiner Mutter, die in Allenstein in einer gut situierten Familie groß geworden ist, war ihm dieses nicht vergönnt, er war als Kind arm gewesen: sein Vater? Er ist früh gestorben? Er kannte ihn nicht gut. Mir sind nur Geschichten über seine Mutter und seine Oma in Erinnerung geblieben. Er war ein älterer Mann, der nun noch einmal in Kindheitsgefilden schwelgen durfte ...
aber nicht immer, nicht mit mir. Es gab Tage, da habe ich ihn unumwunden gebeten, mir keine Geschichten zu erzählen, die länger als fünf Jahre zurück liegen ... und dies habe ich mit einer halbernsten Drohgebärde begleitet.
Geiz
Aus seiner armen Kindheit rührten vermutlich seine enorme Sparsamkeit und leider auch sein ausgeprägter Geiz (der lag inzwischen nicht mehr am fehlenden Geld). Man konnte von ihm jede erdenkliche Hilfsbereitschaft erwarten, nur Geld durfte sie nicht kosten.
Natürlich spielt Geld in einer Freundschaft keine Rolle. Aber mal reizten mich seine uralten Geschichten und mal sein Geiz zu einem reinen Widerspruch. Umso mehr jedoch habe ich ihm gern und oft zugehört, ohne zu murren (aber eben nicht immer), und ich schätzte es (denn er hatte sich damit selbst ein Stück weit besiegt), dass er mir zum Geburtstag und zu Weihnachten für seine Begriffe recht teure Geschenke machte.
Aber das Knallergeschenk seines Lebens habe ich ihm dann bereitet: eigentlich war es nur ein bebildeter, großer Jahreskalender über Ostpreußen. Da war seine Freude bereits recht groß. Aber die steigerte sich noch, als er auf einem der Fotos genau das Haus wiedererkannte, in dem er mit seiner Mutter und seiner Oma gelebt hatte ... Der reine Zufall,
der diesem liebenswerten Menschen ein großes Stückchen Glück gebracht hat. Vielleicht gibt es auch keine wirklichen Zufälle und alles geschieht nach einem Plan, von dem wir nichts wissen und ahnen ...
Boomer
hieß sein Hund. Der war ein Geburtstagsgeschenk seiner 2. Ehefrau an ihn, obwohl jeder wusste, dass er eigentlich keinen Hund haben wollte - und auch keinen großen Bezug zu Hunden hatte.
Bis wir uns kennenlernten, hat er den gutmütigen Boomer nie abgeleint. Seine Spaziergänge mit dem Hund waren das reinste Pflichtprogramm, nicht mehr, nicht weniger.
Der Hund wurde versorgt, aber nicht einmal das Wort "Leckerchen" kannte Boomer.
Da war dringender Handlungsbedarf ... und jeder kann sich vorstellen, in welcher Geschwindigkeit ich Boomer dieses Lieblingswort vieler Hunde beigebracht habe. Fortan hat auch Franz B. Leckerchen gekauft ... er sprang über seinen Geiz-Schatten. Erst nicht gerne, aber dann froh, dass er endlich auch durch so eine einfache Sache mehr und mehr Bezug zu seinem Hund bekam.
Von der Leine ließ er ihn dann natürlich auch so oft wie möglich. - Wir unternahmen zusammen lange Waldspaziergänge oder fuhren in andere Ruhrgebietsstädte. Einmal, ich kam ja nicht umhin und habe ihn gern begleitet, fuhren wir nach Essen und
besuchten das Grab seiner 1. Ehefrau.
Ein trauriges Ende
Es war in 2012: zuerst starb Boomer, der allerdings das hohe Hundealter von fast 16 Jahren erreicht hatte.
Dann starb Franz B. ziemlich plötzlich und unerwartet im Alter von etwas über 70 Jahren.
Im selben Jahr starb - nicht plötzlich und unerwartet - auch seine 2. Ehefrau. Da ich sie gut kennengelernt habe, kann ich nur sagen: sie war keine gute Person, eher so etwas in Richtung Oberster Feldherr in weiblicher und ausgesprochen negativer Form.
Natürlich ist die ganze Geschichte unserer Freundschaft viel ausführlicher und mein Blog-Beitrag beinhaltet nur Stichpunkte, aber man kann über viele Jahre nicht in aller gebotener Kürze ausführlich erzählen.
Ich habe Franz B. sehr gemocht, und ich vermisse ihn. Ich denke sehr oft an ihn, nicht nur aus Anlass dieses Blog-Beitrages.
An Gott geglaubt hat er nicht wirklich, aber vielleicht wurde er eines Besseren belehrt, denn zu Lebzeiten hat er sich immer zurückgesehnt ...
zu seiner Mutter und seiner Oma - und zu seiner 1. Ehefrau.
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