Samstag, 27. Juni 2020
27. Juni 2020 - Bienchens Geschichte - 21. Teil
Bienchens Lehrzeit
Ich musste mich zu Hause wieder um Bienchen kümmern, die sich mächtig freute, als sie mich mit meinem Mann und Robin vom Zug abholte. Das hatte ich überhaupt nicht erwartet, aber es blies endlich meine Kopfschmerzen fort, die mich stundenlang gequält hatten.
Ich sah das Bienchen an ... und ich musste lachen: Sie sollte mir nicht gehören! Dieser Paul, der Friseur, hatte vermutlich heimlich Jura studiert und sich seine eigene Rechtslage zusammengeschustert ... im Grunde wollte er nicht, dass ich das Erbe ausschlug, weil ihm sonst mehr Arbeit ins Haus gestanden hätte.
Er hatte ohnehin die Meinung, dass jemand zu Lebzeiten und mit warmen Händen geben sollte ... so wie meine Mutter es bei ihm getan hatte. Für jede Kleinigkeit hatte sie ihm ein paar Scheinchen zugesteckt. Im Laufe der Jahre hatte sich das summiert.
Fuhr er sie zum Beispiel nach Luxemburg, weil sie dort die preiswerteren Zigaretten kaufen konnte - hat sie vermutlich nicht mehr nachgerechnet, dass sie die Entlohnung für seine Dienste am Ende teurer kam als hätte sie vor Ort Zigaretten eingekauft. Und so setzte es sich fort ... Er hat ihr den Flur gestrichen, was noch nicht allzu lange her war ... ein professioneller Maler wäre sie nur halb so teuer gekommen.
Natürlich hat sie ihm alles freiwillig gegeben. Für seine fadenscheinige Freundlichkeit. Sie mochte ihn schließlich und sah so etwas wie den verlorenen Sohn in ihm ... möglicherweise mochte er sie auch und hat nur das Nebenprodukt geldwerter Vorteile mitgenommen.
Ich schob die Gedanken an Paul erst einmal beiseite.
Bienchen war jetzt wichtig. Sie musste lernen, wie ein Hund zu leben ... und dabei half Robin mir enorm.
Das ängstliche Wesens Bienchens verschwand nach und nach, und zu anderen aufdringlichen Hunden war sie bald auch nicht mehr unterwürfig, sondern recht ruppig.
Sie liebte Robins besten Freund Joschi. Robins anderer Freund Max bekam manchmal einen ordentlichen Rüffel von ihr -
zwei- oder dreimal warf sie ihn sogar zu Boden, so dass er auf seinem Rücken lag - und traktierte ihn. Sein Vergehen?
Er hatte zu lange an ihrem Hintern geschnuppert.
Helmut rechnet aus ...
Ich kannte ihn bereits eine Weile, als Bienchen zu uns kam. Eines Tages war er Robin und mir während eines Waldspazierganges begegnet - und bei der nächsten Begegnung schloss er sich uns (ungefragt) an. Helmut war Frührentner. Er hatte zuvor in einer großen Ruhrgebiets-Firma
als Prokurist gearbeitet, war wegen dieser Position sogar bis in den Iran gereist.
Helmut war eine Nervensäge! Das muss ich leider schreiben, obwohl ich ihn trotzdem mochte, aber eben nicht täglich sehen wollte. Ohne Verabredung
war er meistens zum Zeitpunkt meiner Ankunft am Wald schon dort und wartete auf mich. Wurde es mir zu bunt, nahm ich einen anderen Waldeingang - und das machte ich oft.
Trotzdem war er ein lieber Mensch, obwohl das Wort "lieb" nicht wirklich passt. Von seinen vielen privaten und geschäftlichen Reisen hatte er jede Menge Fotos - und hielt in Altenheimen Reise-Vorträge ab. Dies völlig uneigennützig, d. h. ohne geldwerte Vorteile - aber nicht ganz so uneigennützig, weil er gerne anderen etwas erklärte und dadurch im Mittelpunkt stand. Insgesamt war er schon sehr speziell.
Und natürlich hatte er eine Affinität zu Zahlen. Nebenher auch ein unschlagbar gutes Erinnerungsvermögen und ein breites nicht nur Allgemein- sondern auch Speziell-Wissen. Tiere mochte er sehr, obwohl er noch nie ein eigenes gehabt hatte.
Anfangs fand ich es befremdlich, dass ein Mann so ganz alleine durch den Wald ging: Ohne zu joggen, zu radeln oder sonst einen ersichtigen Plan. Aber schnell verstand ich, dass dieser tägliche Spaziergang zu der Struktur gehörte, die er seinen Tagen gab.
Bienchen gefiel ihm ausgesprochen gut, und hin und wieder versuchte er, sich mit Leckerchen bei ihr einzuschmeicheln.
Im übrigen nahm und nimmt mein recht verfressenes Bienchen Leckerchen nur von Menschen, die sie gut kennt - niemals von Fremden. Aber nach einigen Spaziergängen kannte sie Helmut schließlich gut genug, dass er sie
mit Leckerchen füttern durfte. Da war sie sehr gnädig, denn ansonsten beachtete sie ihn kaum.
Natürlich bekam Helmut auch den Tod meiner Mutter hautnah mit. Auch über Paul erzählte ich ihm die jeweiligen Neuigkeiten ...
und wir waren uns einig über Paul.
Da Zahlen schließlich zu Helmuts Passion gehörten, bat er mich, ihm alle monatlichen Einnahmen und Ausgaben meiner Mutter zu nennen (die mir nicht bekannten wie Lebensmitteleinkäufe etc. überschlug er, und zwar in einem großzügigen Rahmen).
Ich fand das Spielchen interessant, denn er wollte mir ausrechnen, wie hoch meine zu erwartende Erbschaft sein könnte ... er war eben praktisch und nicht sentimental veranlagt, und mich lenkte es von meiner Trauer ab.
Was bei seiner End-Rechnung herauskam, war erst einmal erstaunlich, aber auf den 2. Blick durchaus nachvollziehbar und nachrechenbar. Die mir völlig unbekannte Gleichung, wie es vor dem Tod meines Vaters mit einem eventuellen Vermögen ausgesehen hatte, ließ er außen vor. Spekulationen waren nicht sein Ding. Er hielt sich strikt an Zahlen.
Und er kam auf eine gute sechsstellige Zahl.
Fortsetzung folgt
Copyright Silvia Gehrmann
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