Freitag, 12. Juni 2020

12. Juni 2020 - Bienchens Geschichte - 18. Teil


Das Leben geht weiter ...

So, wie es immer weiter geht. Nicht mehr wie vorher, aber anders. Eine ganze Stadt trauerte tief um alle Opfer der Love-Parade-Katastrophe,

ich trauerte zusätzlich um meine Mutter.

Und ich musste wieder an die Mosel fahren. Ich musste ihre Papiere sichten, zu ihrer Bank und was eben so nötig ist, wenn jemand stirbt.

Außerdem sah ich Paul wieder. Leider.

Bienchen nicht mitzunehmen, war ein guter Entschluss, denn sie sollte ihre alte Heimat, ihr altes Zuhause nie wiedersehen. Es hätte sie nur zurückgeworfen in ihrer Entwicklung hier bei uns in ihrem neuen Für-Immer-Zuhause. Damit sie nicht allein blieb, musste auch Robin zu Hause bleiben. Mein Mann hatte sich einen Tag Urlaub genommen und lief mit den beiden ihre üblichen täglichen Runden, inklusive der Lieblings-Runde durch den Wald.

Heute würde das bei Bienchen nicht mehr funktionieren, denn leider geht sie einzig und allein mit mir spazieren. Sobald sie mich nicht mehr sieht, bockt sie wie eine Ziege und geht keinen Schritt weiter.

Damals hatte sie sich vielleicht noch nicht entschieden, an wen sie ihr Herz am Ende am meisten und, ohne Widerspruch zu dulden, hängt.

Die drei brachten mich frühmorgens gegen 6.00 Uhr zum Zug - und ich fuhr wieder Richtung Bullay, wieder am Kölner Dom vorbei. Ein Stadtbummel durch Köln wäre mir in der Tat viel lieber gewesen ...

Ich fuhr ohne großartige Motivation, weil ich nicht wusste, was mich erwartete. Würde ich am Ende auf Überraschungen stoßen? Würde ich vielleicht endlich Bienchens genaues Geburtsdatum erfahren - bislang wusste ich nur, dass sie bald 7 Jahre alt war, aber das genaue Datum war mir noch nicht bekannt. Meine Mutter hatte mir ihr definitives Geburts-Datum nicht mitteilen können, sie wusste es einfach nur noch ungefähr - im Gegensatz zu ihr kann ich mir Daten und Zahlen hervorragend merken. Ich habe eher Schwierigkeiten bei den Gesichtserkennungen.

Paul erkannte ich allerdings sofort wieder. Ihn hätte ich auch in einer völlig anderen Umgebung erkannt, denn seine Frisur war schon

einzigartig (seltsam).

Der gelernte Friseur trug die Haare schulterlang in Dauerwellen gelegt. Es sah eigentlich sehr gepflegt aus, war in meinen Augen jedoch total altmodisch.

Etwas anderes erkannte ich allerdings in der Wohnung meiner Mutter problemlos und sofort:

Nach meinem letzten Besuch hier, während meine Mutter im Krankenhaus lag und aus der 2. Klinik auch nicht mehr entlassen werden konnte,

hatte ich die Wohnung gescannt. Das war keine Absicht, das passiert mir einfach.

Es fehlten einige Dinge. Neu gekaufte, ungetragene Kleidung zum Beispiel - und mehr, zum Beispiel auch 600 Euro an Bargeld.

Warum fehlten diese Dinge? Wohin waren sie gelaufen?

Natürlich konnte ich es mir denken.

Ich atmete tief durch und nahm mir vor, sehr, sehr friedlich zu bleiben ...

Überhaupt bemerkte ich in dieser Zeit, dass ich überaus und entgegen meine Natur wie sediert war, viel ruhiger als sonst. Als würde jemand seine Hand über mich halten

und mich vor übereilten Handlungen und Aussagen bewahren wollen, die ohnehin zu nichts führen könnten.

Die Zeit nach dem Tod meiner Mutter war insgesamt eine für mich unwirkliche Zeit. Erstmals dachte ich an so etwas wie Karma, an das ich nicht glaube,

aber das im besten Falle für mich handeln sollte. Und da ging es nicht nur um ein paar verschwundene Dinge und etwas Geld, wofür solch ein Karma zuständig sein könnte ... es ging um viel mehr.

Irgendwie handelte das Karma auch einige Zeit später.

Aber so hatte ich das wirklich nicht gewollt.

Ich glaube trotzdem nicht an Karma.


Fortsetzung folgt
Copyright Silvia Gehrmann

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