Freitag, 5. Juni 2020

5. Juni 2020 - Bienchens Geschichte - 17. Teil



Der Tag der Love-Parade und jener danach ...

Besser als auf dem Schild kann man es nicht kurz und knapp und so ehrlich beschreiben, wie es von uns empfunden wurde. Adolf Sauerland war der damalige Oberbürgermeister der Stadt Duisburg.

Er wurde später von uns Bürgern in einem aufwendigen Verfahren abgewählt, da er nicht bereit war, zurückzutreten ... aus Sorge um den Verlust seiner Pensions-Bezüge. Diese Abwahl hatte später die höchste Wahlbeteiligung aller Zeiten - zum Nachteil von Sauerland. - Es blieb der einzige Triumpf.

An jenem 24. Juli 2010 hatte ich kurzzeitig WDR-Fernsehen geguckt, aber der Original-Ton, der von draußen schallte, war wesentlich lauter als der, der aus dem TV kam.

Durch ein Spruchband, das in einem anderen Programm lief, erfuhr ich von den ersten Toten der Love-Parade.

Die Veranstaltung wurde jedoch auch nach vielen weiteren Toten nicht abgebrochen. Das sollte Unruhe und Panik vermeiden.

Ich kann das sehr gut nachvollziehen -

denn wie verhalten sich Menschen in großen Massen, wenn sie erfahren, dass es unter ihnen und wegen dieser Massen und desaströser Organisation bereits Opfer, sogar Todesopfer,  gegeben hatte?

Als ich am Abend meine letzte Runde mit Robin und Bienchen drehte, war die Musik draußen noch immer auf voller Lautstärke. Unterwegs traf ich eine Vierer-Gruppe,

die mich schon etwas angeschickert, aber voller Vorfreude und fröhlich fragte, wie sie zur Love-Parade kämen. Offenbar war damals noch nicht jeder und vor allem unterwegs permanent mit sozialen Medien in Kontakt, denn die Frage war durchaus ernst gemeint und sollte mich nicht verhöhnen.

Ich sagte ihnen: "Gehen Sie nach Hause, es gab Tote."

Sie reagierten, wie auch die erste Reaktion des Oberbürgermeisters Adolf Sauerland gewesen sein soll:

"Klar. Drogen."

"Nein, keine Drogen. Es ist alles sehr schlimm", damit ging ich weiter, "gehen Sie wirklich besser nach Hause."

Ich hoffe, sie haben meinen ernst und gut gemeinten Rat befolgt.


Beinahe jeder Mensch in Deutschland und viele weltweit wissen, wie es damals ausgegangen ist:

21 tote und 541 verletzte Menschen.




Am nächsten oder übernächsten Tag machte ich mich mit Robin und Bienchen auf den Weg zum Unglücksort. Nicht, weil ich neugierig war, denn ich bin viel weniger neugierig als die meisten Leute - sondern weil es mir ein Bedürfnis war, ein paar Blumen und eine Kerze dort abzulegen.

Ich ging genau den Weg, den zuvor alle Besucher der Love-Parade gehen mussten. Ein ziemlich langer Weg, obwohl die Luftlinie dorthin ein Klacks ist.

Dieser Klacks über die A 59 und ohne durch den Tunnel zu müssen - hätte vielleicht alles verhindert.

Viele Menschen standen ebenso betroffen am Unglücksort wie ich. Ein Meer von Blumen, Bildern, Plakaten beherrschte die gesamte Umgebung dieses traurigen Ortes.

Es war ein leises Trauern. Es war ein Bild, das einem nie mehr aus dem Kopf geht. So still und so friedlich war es nach all dem, was dort passiert war ... und am Ende

nach vielen Jahren, in 2020, wurde der Prozess gegen einige der mutmaßlich Verantwortlichen wegen Corona und Verjährung eingestellt.

Stoppt ein laufender Prozess eigentlich nicht die Verjährungs-Frist?

Ich bin keine Juristin, würde es aber so sehen. Im Sinne "Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand"?

Am Tag nach der Love-Parade gaben verantwortlich Beteiligte der Love-Parade eine Presse-Konferenz, die im TV übertragen wurde.

Was gesagt wurde?

Eigentlich gar nichts!

Von ehrlicher Empathie nicht mal den Hauch einer Spur.

Ein jeder Beteiligte versuchte, mit Wörtern seine Haut zu retten.

Es gab mehr Ehrlichkeit in jedem kitschigen Symbol einer unsagbaren Trauer über das, was passiert war, als in jedem Wort dieser Verantwortlichen,

denen nichts heilig ist, und deren Wörter allesamt überflüssig waren.







Fortsetzung folgt
Copyright Silvia Gehrmann


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