Montag, 20. Mai 2019

20. Mai 2019 - Die Geschichte einer Facebook-Freundin, die anonym bleiben möchte. Ich weiß natürlich, wer sie ist.


Die Geschichte einer Facebook-Freundin, die anonym bleiben möchte.
Ich weiß natürlich, wer sie ist.



Der Tod


Wäre der Tod eine Person, dann eine mit einem sehr schrägen Sinn für Humor, oder wie soll ich das beschreiben, was mir gleich zweimal widerfahren ist? 

Am 12. März 1962, eine Woche vor meinem 7. Geburtstag, sah ich, wie mein Vater an einem Herzinfarkt starb. Er wurde 54 Jahre alt.

Am 17. März 2019, zwei Tage vor meinem 65. Geburtstag, starb schnell und unvorhersehbar mein Mann. Er wurde 68 Jahre alt. Die Notärzte versuchten noch eine halbe Stunde, ihn zu reanimieren, aber es war zu spät.

Inzwischen waren unsere Kinder eingetroffen, die ich benachrichtigt hatte. Wir alle standen unter Schock. Ich hatte Schüttelfrost, eine körperliche Reaktion auf das Unfassbare. Nach einem so unvorhersehbaren Tod ohne Vorerkrankung wird der Leichnam beschlagnahmt. Es erschienen zwei Polizisten, die meinen Mann in Augenschein nahmen. Wir mussten das Zimmer verlassen. Danach konnten wir uns verabschieden. Er lag auf dem Boden vor dem Sofa, mit seiner Decke zugedeckt. Er wurde dann abgeholt. 

Die Nacht war grauenvoll. Ich schickte die Kinder nach Hause, unseren Jüngsten, der noch bei uns wohnt, ins Bett. Ich fror noch immer. Auch im Bett wurde mir nicht warm. Am Morgen bin ich wohl eingenickt. Als ich wach wurde, dachte ich, er liegt neben mir. Mir wurde schnell klar, das alles nicht nur ein böser Traum war. Ich brach zusammen. Aber ich nahm mich für meinen Sohn zusammen. Er litt schon genug. Mittags kamen wieder alle. Wir besprachen, was nun zu tun ist. Die Bestattung war zu organisieren.

Die Sterbeversicherung musste benachrichtigt, der Rentenvorschuss, die Witwenrente und die Betriebsrente beantragt werden. Dafür brauchten wir aber eine Sterbeurkunde. Diese bekamen wir dann vom Bestatter, nachdem der Leichnam freigegeben worden war. Am nächsten Tag hatten wir einen Termin beim Bestatter. Ich hatte ziemlich genaue Vorstellungen davon, was ich wollte und vor allem, was ich nicht wollte. Zum Glück war meine Familie der gleichen Ansicht. Mein Mann und ich waren uns einig, wir wollten keine Grabstelle, die gepflegt werden muss und nur eine Belastung für die Hinterbliebenen ist.

Also beschlossen wir eine Kremierung mit einer Bestattung in einem Friedwald. Zum Glück hatten wir ein Unternehmen ausgesucht, das nicht gierig einem allerlei aufzuschwatzen versucht. Unser Bestatter schlug uns die Bestattung in einem Friedwald in den Niederlanden vor. Dort könnte man sich die deutschen, sehr hohen Gebühren sparen und die Beerdigung ganz in unserem Sinne gestalten. Nach zwei Wochen bekamen wir die Benachrichtigung vom Krematorium. Wir holten die Urne, eine abbaubare Bio-Urne vom Bestatter ab und fuhren nach Venlo zum Waldfriedhof. Wir hatten einen Termin bekommen. Ein Mitarbeiter holte uns ab und führte uns in den Wald. Dort suchte ich eine schöne Stelle aus unter einem Baum neben einem frischen Schößling. Da begruben wir die Urne, nachdem wir alle Abschied genommen hatten. Alle legten eine Blume auf sein Grab.

Es mag Menschen geben, denen unsere Beerdigung zu schlicht, nicht feierlich genug ist. Aber es entsprach dem Wesen meines Mannes. Er liebte seine Familie, aber der Rest der Menschheit war ihm ziemlich egal. Ich bin überzeugt, er wäre zufrieden mit uns. Ich habe in meiner Patientenverfügung festgelegt, das ich genau so beerdigt werden will. Den Nachmittag verbrachten wir alle bei Sohn und Schwiegertochter. 


Die nächste Zeit verging schnell. Manchmal glaubte ich, ihn aus dem Augenwinkel auf seinem Platz sitzen zu sehen, aber diese Schrecksekunden wurden allmählich weniger. Nachdem ich endlich die Sterbeurkunde hatte, konnte ich sämtliche Behördengänge und Anträge erledigen. Den Rentenvorschuss und die Sterbeversicherung bekam ich schnell, die Witwenrente ist noch nicht bewilligt. Aber das ist normal, darum bekommt man ja auch den Rentenvorschuss.

Ich nahm mir nun seine Kleidung vor. Das meiste gab ich weg. Dachte ich am Anfang, ich könnte nie hier wohnen bleiben, habe ich jetzt meine Meinung geändert. Ich habe sein Bett abgezogen und eine Decke über die Matratze geworfen. Das geht, bis ich mir ein neues Bett kaufe. Nun entrümple ich die Schränke, Ballast abwerfen hilft mir. Die Arbeit verhindert das Grübeln.


Es wird langsam besser. Anfangs hatte ich richtige Herzschmerzen. Mein Herz ist gebrochen, egal wie kitschig sich das anhört. Ich habe meinen Mann mit 17 Jahren kennengelernt, geheiratet haben wir, als ich 19 Jahre alt war. 45 Jahre waren wir verheiratet. Wir waren nicht nur ein Paar, wir waren ein Team, wir waren beste - und einzige - Freunde.

Ich vermisse ihn sehr. Ich vermisse unsere Gespräche auf Augenhöhe. Jetzt habe ich keinen mehr in meinem Alter. Nun rede ich manchmal mit mir selbst. Aber ich bin dankbar, das ich meine Familie habe, die mich sehr unterstützt und meinen Sohn, der mit mir jetzt sozusagen in einer WG wohnt. Nix Hotel Mama, wir teilen die Arbeit. Ich möchte mich auch bei Silvia bedanken, die mich oft getröstet hat. Liebe Silvia, allein meine Gedanken aufzuschreiben und Dir zu senden war eine Hilfe für mich. 


Ein Satz zum Schluss. Ich habe meine Geschichte aufgeschrieben, um meine Gedanken zu sortieren und irgendwann damit abschließen zu können. Es wird noch lange dauern, bis aus dem Wir ein Ich geworden ist, aber das schaffe ich. Ich schreibe nicht, um bedauert zu werden, dazu besteht kein Anlass. Ich hatte 45 gute Jahre, das ist nicht jedem vergönnt.


Guten Tag sagen die Unbekannte und ich



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