Freitag, 25. März 2016
25. März 2016 - Geschichten - Karfreitag im Hospiz
Eine fiktive Geschichte
Karfreitag im Hospiz
Es ist ein sonniger Karfreitag und im Garten haben sich in einer windgeschützten Ecke die Eltern, Geschwister und ein paar andere Verwandte um Torben versammelt. Torben begeht heute seinen 16. Geburtstag, und jeder weiß, dass es sein letzter sein wird. Mit den obligaten Sauerstoff-Schläuchen ausgestattet, sieht er trotzdem zufrieden in die Runde der Menschen, die ihm am liebsten und nächsten sind. Drei Jahre hat er gegen die Leukämie gekämpft, und er weiß, dass nun, wo sein Kampf in ein sich devotes Hingeben übergegangen ist, niemand ihn je vergessen wird.
Sie trinken Kaffee und seine Oma nippt an einem Eierlikör, während man ihn ein bisschen Saft durch einen Strohhalm schlürfen lässt.
Mit der Weisheit seiner gefühlt zehnfach gelebten letzten drei Jahre wünscht er sich, dass sie ihn immer so in Erinnerung behalten, wie er gerade eben zwischen ihnen sitzt ...
In Zimmer 12 liegt Maria, die 88 Jahre alte Frau, im Sterben. Sie blickt auf ein erfülltes Leben zurück und kann auch heute nicht bedauern, dass sie nie Kinder bekommen hat, die nun an ihrem Sterbebett sitzen könnten. Sie hatte es sich so ausgesucht.
Als junge Frau hatte sie als Schneiderin für einen weltberühmten französischen Modeschöpfer gearbeitet - und die Pariser Männerwelt lag ihr zu Füßen. Bis sie Pierre traf, einen Lebenskünstler. Den Künstler, der fortan ihr Leben bestimmte, und das im positiven Einvernehmen. Gemeinsam gingen sie in ihre Heimatstadt Berlin und liebten und lebten jeden Moment. Pierre starb bereits vor dreißig Jahren, und obwohl sie
nicht gläubig ist - freut sie sich auf ein erhofftes, erwünschtes Wiedersehen mit dem Geliebten. Dem Ehemann und dem lange und bis zum Ausbruch der eigenen tödlichen Krankheit Betrauerten. Sie hatte sich nach seinem frühen Tod nie mehr nach einem anderen Mann umgesehen. Denn sie war der festen Überzeugung, dass es Glück gab, das man nicht wiederholen konnte.
Ein paar Räume weiter liegt Bert in Zimmer Nr. 22. Er ist 56 Jahre alt und widrige Umstände hatten ihn in die Obdachlosigkeit und den Alkoholismus getrieben. Nun ist seine Leber zirrhotisch, und bald wird sie völlig versagen, wie auch all seine anderen Organe.
Er ist in den seltenen klaren Momenten unglücklich und voller Selbstanklagen. Doch diese klaren Momente werden immer undeutlicher und entgehen bald völlig seiner Wahrnehmung.
Auch in den anderen Zimmern liegen sterbende Menschen. Der eine hadert mit seinem Schicksal, der andere findet sich mit dem ewigen Kreislauf letztendlich ab. So ist es, so ist es gedacht.
Moritz im hinteren Eckzimmer mit der Nr. 28 trägt eine schwere Schuld seit einer halben Ewigkeit mit sich herum. Damit ist er nie klar gekommen, und man ist ihm auch nie auf die Spur gekommen - was in den Tagen seines Sterbens umso schwerer wiegt. Er überlegt, ob er sein Gewissen endlich erleichtern soll - doch die Zeit drängt, und er kann sich nicht zu dem Schritt entschließen ...
In Zimmer 8 liegt Marita, und heute hat sich ihre ganze Familie um sie versammelt. Auch die ungeliebte Tochter ist gekommen, die so ungeliebt nicht zurück bleiben wird, wie Marita sie zu allen Zeiten glauben ließ, zu sein.
Der junge Torben muss schnellstens in sein Zimmer zurück gebracht werden. Er erbricht Blut und bekommt kaum noch Luft ... Sein Arzt befindet sich bereits auf dem Weg zu ihm.
Und er ist es, der an diesem Karfreitag die Welt verlassen muss.
Guten Tag, Gruß Silvia
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