Samstag, 2. November 2024

2. November 2024 - Allerseelen - Wie wird es sein, zu sterben?



Wie wird es sein, zu sterben?

Es gibt die Menschen, die Angst vorm Sterben - und es gibt die anderen, die Angst vor dem Tod als Endgültigkeit haben.

Wirklich recht kann es einem der Tod nicht machen, denn, wenn er plötzlich, unerwartet und aus heiterem Himmel kommt, schockt er die Angehörigen mehr als wenn er

nach langer Krankheit die Krallen nach dem Menschen ausstreckt. Aber was denkt der so plötzlich sterbende Mensch in diesen letzten finalen Sekunden? Ist er dankbar, dass ihm Leid erspart worden ist? Oder hätte er sich gewünscht, einen anderen Weg in den Tod zu gehen? Einen mit Abschieden vielleicht.

Eben steht man noch mit kurzem Röckchen mitten im Leben, und dann schafft es eine schleichende, immer schwerer werdende Krankheit, alles auf den Kopf zu stellen. Mit allem, was man hat, krallt man sich ans Leben, weil man nicht "gehen" will - aber

das Leben sieht schon durch eine immer kleiner werdende Brennweite das Ende nahen.

Selber habe ich bereits einmal auf der Kippe gestanden, und es war ungewiss, ob mich helfende Ärzte-Hände wieder hochziehen könnten ... oder ob sie mich mangels Kraft und Möglichkeiten hätten fallen lassen müssen.

Ich hatte Malaria. Und habe dem Tod zwar nicht mit einhergehenden Schmerzen, sondern mit einer allumfassenden permanenten Übelkeit ins Auge gesehen.

Damals, ich erinnere mich gut, habe ich mir gewünscht, ich hätte diese furchtbaren Übelkeit gegen

Schmerzen

tauschen können.

Und jetzt, wo ich das schreibe, erinnere ich mich wieder ... niemals hätte ich geglaubt, dass Übelkeit derart entsetzlich sein kann,

dass man sich auch aufgrund dessen wünscht, es wäre bald vorbei ...

Aber ...

vor dem Tod hatte ich immer eine weitaus größere Angst als vorm Sterben. 


In meinem "ersten Leben"

war ich Krankenschwester - und obwohl ich später etwas völlig anderes gemacht habe, habe ich niemals den Bezug zu diesem Beruf verloren, und ich weiß:

es gibt so viele Möglichkeiten, sterbenskrank zu werden, dass für jeden, absolut jeden, etwas dabei ist.

Wenn das Leben gut zu Ende geht, dann ohne Schmerzen oder die von mir beschriebene Übelkeit, die ich in Worten gar nicht ausdrücken kann. Jeder wird am

Ende mit seinem eigenen Schmerz sterben - oder, wenn er Glück hat, diesen nicht erleiden müssen: vielen Medikamenten sei dank.


Zwischen 2 und 3 Uhr morgens

- so scheint es mir, tritt oft der Tod ein: der ersehnte, wenn es sehr, sehr kranke Menschen betrifft. Manch ein Mensch krallt sich allerdings ans Leben, aber - so meine Erfahrung - die absolut meisten lassen los, befreien sich und haben keine weiteren Erwartungen an eine irdische Zukunft. Und

vor allem

verabscheuen sie den Tod nicht weiter. Sie haben sich mit ihm arrangiert und fühlen sich ihm näher als dem Leben.

Ein Junge von gerade einmal 15 Jahren lag auf unserer "Kinderstation" - er hatte ein Sarkom, und ein Bein war ihm bereits amputiert worden. In meinem Dienst fragte ich ihn, ob er nicht lieber mit erwachsenen Menschen zusammen in einem Zimmer liegen würde - wenn er gewollt hätte, hätte ich das sofort in die Wege geleitet, denn im Kinderzimmer lagen ansonsten nur einige Babys in Spreizhöschen - aber er wollte nicht,

dieser tapfere junge Mann, den ich nie vergessen werde. Stattdessen gab er mir eine Antwort, die mich tief erschüttert hat:

"Es ist doch egal, wo ich sterbe ..." sagte er völlig unemotional. Ich war einige Jahre älter als er, aber er war so viel klüger als ich. Nicht auszudenken, wie klug er vielleicht geworden wäre, wenn er heute noch leben würde ... oder war er nur so verinnerlicht,  w e i l   er so krank war?

Ältere Menschen starben, weil nach und nach ihre Organe versagt haben - aus verschiedenen Gründen. Sie waren zuvor absolut kraftlos und manche konnten nur noch unter Mühen noch den Mund öffnen.

Im Sterbeprozess geschah manchmal etwas, das ich mir kaum bis gar nicht erklären kann: sie bäumten sich zur halben Größe in ihren Betten auf ... und sanken dann tot in sich zusammen.

Nach ihren Toden erlebte ich selber etwas: waren sie bis vor einem kurzen Augenblick für mich noch lebendige fühlende Menschen, wenn auch schwer beeinträchtigt, so waren sie ab dem

Moment ihres Todes nur noch Hüllen: diesen Hüllen fehlte nicht nur das Leben, sondern auch das, was wir allgemein als Seele betrachten.

Das fühlte sich mystisch an.


Jeder "schafft" den Tod

Selbst dann, wenn er glaubt, er schafft und bewältigt es nicht. Je älter ein Mensch wird, um so wahrscheinlicher tritt der Tod in sein Leben, um es zu beenden.

Mal sanft, mal radikal. Mal menschengerecht, mal völlig ungerecht mit vielen Beschwerden. Der Tod ist wie das Leben: niemals gerecht und selten freundlich.


Religion

Hier komme ich zurück auf meinen Ausgangs-Gedanken: obwohl mir damals, als ich Malaria hatte, niemand und kein Medikament diese

entsetzliche Übelkeit nehmen konnte, hoffe ich, dass es bei der Linderung von Schmerzen besser aussieht. Und das auch mit der

hoffnungsvollen Aussicht, dass ich nicht zweimal im Leben das gleiche erdulden muss. Das Probesterben hat mir absolut gereicht.

Was die Religion betrifft, bin ich katholisch, aber nicht im strengen Sinne so aufgewachsen. Zwar habe ich besonders meiner Oma zum Gefallen mit ihr viel zu viele

Sonntags-Hochämter besucht,

aber mich innerlich davon strikt getrennt gehalten.

So dachte ich zumindest. So war es, als ich jung war und alle tödlich verlaufende Willkür weit entfernt war. Doch

was ist schon weit entfernt in einem Menschenleben? Mein Bruder starb mit 19 Jahren durch einen Hotelbrand, was mich erstmals

w i r k l i c h   mit dem Tod in Kontakt brachte.

Meine Oma meinte damals, dass sie besser gestorben wäre, weil es ihrem Alter entsprach. Meine Mutter hat sich nie erholt davon. Mein Vater musste für uns alle stark sein, obwohl er genau so darunter gelitten hat wie wir alle. Ich bin in flippigen Eskapaden eine Zeitlang eskaliert. Mehr oder weniger

haben wir diesen dramatischen Tod von meinem Bruder Heinz überlebt.

Und: heute denke ich an den Tod an nichts Freundliches - in der Hoffnung, dass ich mich irre.  Wird mein Bruder mich erwarten, meine Oma, meine Eltern? Meine Katzen, meine Hunde? Und die Wellensittiche meiner Kindheit?

Das wäre ein schöner Gedanke, den ich aber nicht habe.

Ich denke eher an ein dunkles Loch mit Albträumen. Ich habe - ehrlich gesagt - Angst vor dem Tod, und dass mich etwas völlig Unerwartetes empfangen könnte.

All das katholische Brimborium kommt mir in den Sinn und nimmt mal mehr, mal weniger Gestalt an.

Es lässt sich auf den Punkt bringen:

ich habe weniger Angst vorm Sterben als vorm Tod-Sein.

Ewig leben möchte ich allerdings auch nicht.

Es ist ein Dilemma.

Als bekennende Optimistin sehe ich allem aber positiv entgegen und weine nicht heute die Tränen von morgen.

Vielleicht sind diese Gedanken dem Allerseelen-Tag geschuldet.


Guten Tag, Gruß Silvia



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