Omas Allerheiligen
Sicherlich habe ich vieles von meiner Oma "geerbt" oder erworben: nur eines fehlt mir, was das Leben leichter machen würde:
Ich bin nicht gläubig, wie sie es war - ich bin Agnostikerin.
Aber dass ich zumindest nicht die absolute Zweiflerin bin, habe ich sicherlich auch ihr zu verdanken, obwohl in dem Begriff "Agnostik" bereits so viel Zweifel enthalten ist,
dass es der Glaubensanteil darin nicht leichter macht.
Oma Josefine wurde am 27. August 1902 geboren und starb im Oktober 1986. Dazwischen lag ein Leben mit Höhen, aber vor allem auch
Tiefen.
Sie hat den 1. und den 2. Weltkrieg erlebt - und das in Dortmund, einer Stadt, die von Bomben nicht verschont geblieben ist.
Ihr Mann Silverius, nach dem ich benannt worden bin und den ich nie kennengelernt habe, starb, als er nur 47 Jahre alt war. Ihr ältester Sohn musste mit 21 Jahren diese Welt verlassen -
und viele, viele Jahrzehnte später starb auch mein Bruder, ihr einziger Enkelsohn, mit nur 19 Jahren bei einem Hotelbrand.
Über all diese Schicksalsschläge hat ihr der tiefe Glaube an Gott zumindest einen Teil weit hinweggeholfen. Für sie war es ja niemals ein Abschied für immer ...
Und immer blieb sie uns, die ihr geblieben waren, zugewandt.
Allerheiligen
mochte sie besonders gern. Zuerst war es ein Gedenken an all die Lieben, die sie im Laufe ihres Lebens verloren hatte, aber es war andererseits auch die
größte Zusammenkunft der Familie in einem jeden Jahr.
Man traf sich auf dem Friedhof.
Als ihre einzige Enkeltochter war auch ich in jedem Jahres dort, wenn sie "ihre" Gräber besucht hat. Noch heute würde ich den
Weg auf diesen Dortmund-Schürener Friedhof im Schlaf finden, denn ich habe sie auch an vielen anderen Tagen dorthin begleitet.
Im Dunkeln ging es zu Fuß dort hin, um Kränze und Lichter zu verteilen, während meine Oma heller als alle Lichter strahlte - und aus allen Richtungen kamen auch die Verwandten großväterlicherseits und
die Schwestern meiner Oma mit ihren jeweiligen Familien.
Ein riesiger Familien-Auflauf ... aber der Friedhof war an Allerheiligen ohnehin ein gut besuchter Ort.
Im Anschluss an dieses - für viele in der Familie - Pflichtprogramm ging es gemeinsam in immer das gleiche Lokal "Möllmann" in Dortmund-Schüren.
Und inmitten all ihrer Lieben saß meine Oma und war zufrieden und glücklich und strahlte an einem dunklen 1. Novembertag so hell wie die Sonne.
Nach ihrem Tod brach alles mehr oder weniger auseinander.
Auf Friedhöfe gehe ich heute nur noch, wenn ich sie als Sehenswürdigkeit betrachten kann - und nicht mehr zum Gedenken. Meine Lieben habe ich im Herzen und vor allem in vielen Gedanken -
und kann ihre Seelen an und vor Gräbern weder entdecken noch mich ihnen nahe fühlen.
Guten Tag, Gruß Silvia
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