Samstag, 6. Februar 2021

6. Februar 2021 - Kurzgeschichte in 2 Teilen: "Im Waschsalon" - 2. Teil

 
Foto: S. B.


Eine Woche später

Sogleich mit Lili ins Gespräch zu kommen, wäre Paul nie in den Sinn gekommen: er brauchte Zeit, über Themen  - abseits vom Wäschewaschen - nachzudenken.

Lili ihrerseits war froh, denn offenbar machte sie endlich eine Bekanntschaft in ihrer neuen Umgebung. Auch ihr war es recht, ein Gespräch auf die nächste Woche zu vertagen. Manchmal wusste sie einfach nicht, was sie mit fremden Leuten reden sollte - wenn es ihr im Nachhinein auch meist mühelos einfiel. Ihr ureigenes Dilemma.

Trotzdem waren beide sehr schüchtern, als sie sich eine Woche später zur gleichen Zeit am selben Ort wieder gegenüberstanden. Es fühlte sich wie ein Date an, auch, wenn nur von Hilfe beim Wäschewaschen die Rede gewesen war.

Immerhin war Lili zweimal verheiratet gewesen - sie hätte wissen sollen, wie man mit einem Date zurechtkam. Aber sie war einfach nur so unsicher wie sie es zeitlebens gewesen war. Sie hielt es durchaus für möglich, dass dieser Mann, dessen Namen sie noch nicht wusste, wirklich nur ihre Hilfe benötigte. Von unbeholfenen Männern hatte sie schließlich ebenfalls eine Ahnung ...

Paul war im Vorfeld bereits nervös wie eine Rakete vor dem Start, wohlgemerkt eine nie ausprobierte und sicher völlig unbrauchbare Rakete - und nur, falls Raketen als Metapher Empfindungen haben konnten. Er hatte sich neue Jeans und ein schickes Hemd gekauft. Sogar an die Farbe Rosa hatte er sich fürs Hemd heran getraut. Die erschien ihm nun, als er Lili gegenüber stand,

merkwürdig aufdringlich.

So standen sie da, und keiner von beiden sprach ein Wort. Dann deutete Paul auf seinen mitgebrachten Wäschekorb:

"Ich bin froh, dass Sie mir helfen wollen", sagte er. Gleichzeitig hätte er sich auf die Zunge beißen mögen. Er schickte ein stummes Stoßgebet in Richtung Boden, dorthin, worunter, tief darunter, er seine Mutter nun vermutete, obwohl er sich für sie durchaus ein anderes Quartier wünschte. Allerdings nicht in diesem Moment.

Was hatte sie aus ihm nur für einen Schlappschwanz gemacht!

"Kein Problem", antwortete Lili und zog aus einer Tasche eine Thermoskanne und zwei Becher, "es ist kalt draußen, und ich habe mir gedacht, ich bringe uns Glühwein mit."

Nach dem Befüllen von zwei Waschmaschinen schenkte Lili jedem eine Tasse des Getränks ein. Sie saßen einander auf zwei Stühlen gegenüber, in die Mitte hatten sie einen der kleinen Tische gestellt, die hier zur Verfügung standen. Das Gespräch lief schleppend, als müssten sie vor jedem neuen Satz erst einmal ein Schlückchen trinken, um sich überhaupt artikulieren zu können.

Aber schließlich war die Thermoskanne mehr als halb geleert und die beiden hatten es zumindest geschafft, einander ihre Namen zu verraten. Wir sind schon zwei traurige Gestalten, dachte Lili.

Wie schön ihre Augen sind, dachte Paul.

Irgendwie schafften Lili und Paul es trotz ihrer verkrampften Vorstellung, sich ein weiteres Mal zu verabreden ...


Freunde?

Sie trafen sich nicht nur ein einziges nächstes Mal, sondern seit dieser zweiten Begegnung im Waschsalon sogar regelmäßig. Meistens gingen sie spazieren, manchmal in ein Cafe. Bei dem Gedanken, Lili in ein Kino einzuladen, empfand Paul das als ziemlich frivol. In einem Kino sahen Verliebte schließlich nicht nur einen Film, sondern fühlten vor allem die Nähe des anderen  ... und küssten sich vielleicht im Schutz der Dunkelheit. Aber so weit waren sie gar nicht. Sie waren nur Freunde, kein Paar. Und so lief es eine ganze Weile,

in der keiner von beiden sich so allein fühlte wie vor ihrer Freundschaft.

Von sich selber erzählten sie zwar nur sehr spärlich, aber sie fanden endlich genügend Themen, und vor allem liebten sie die Natur, über die sie stundenlang reden konnten.

"Ich möchte dich morgen zum Essen in ein Restaurant einladen", sagte Lili an einem 14. Juli, "ich habe nämlich morgen Geburtstag."

Paul blieb starr auf der Stelle stehen, denn er hatte sie gerade ebenfalls für den kommenden Tag zum Essen einladen wollen, weil es auch sein Geburtstag war.

Zwei Minuten später wussten sie übereinander, dass sie nicht nur am gleichen, sondern am selben Tag Geburtstag hatten, denn sie waren auch im selben Jahr geboren.

Ihre erste Reaktion darauf war, dass sie beide lachen mussten. Es war ein Zufall, als hätte der Himmel seine Hände im Spiel ... und sie endlich zueinander geführt, damit sie Freunde - oder mehr - werden konnten.


Der gemeinsame Geburtstag

Lili hatte eine schlaflose Nacht hinter sich, denn sie kannte sonst niemanden, der mit ihr auch nur am gleichen Tag Geburtstag hatte, vom selben Jahr gar nicht zu reden. Sie dachte an ihre Kindheit in der damaligen DDR und ihre unbekannte Herkunft. Wer ihre leiblichen Eltern waren, wusste sie nicht - und ihre Adoptiv-Eltern wussten dies angeblich auch nicht. Aber nach ihren Erfahrungen mit diesen hatte sie nie den Wunsch verspürt, ihre anderen Eltern zu finden - die sie womöglich auch nur ablehnen würden.

Paul machte sich keine großen Gedanken. Er freute sich nur auf einen gemeinsamen Geburtstag, den sie miteinander verbringen würden. Bislang hatte er jeden einzelnen seiner Geburtstage nur mit seiner klammernden Mutter verbracht.

Als sie sich im Restaurant gegenüber saßen, legte Lili ihren geschlossenen Personalausweis auf den Tisch: "Hast du deinen auch dabei?"

Er griff erstaunt in seine Tasche, um ihrer Bitte sofort Folge zu leisten.

Sie waren beide nicht nur am selben Tag im selben Jahr, sondern auch in demselben Ort in der ehemaligen DDR geboren.

Lili erzählte von ihrer Adoption. Von DDR-Adoptionen hörte man schließlich eine Menge. Sie dachte an Zwangsadoptionen.

Später liefen sie zu Pauls Wohnung, um die Unterlagen seiner Mutter durchzuforsten. Gab es irgendeinen Hinweis darauf, dass sie damals Zwillinge geboren hatte?

Die beiden fanden keine Belege dafür. Zwar stimmte es, dass Pauls Mutter zu Zeiten seiner Geburt in der DDR gelebt hatte, und sie war auch erst ausgereist, als er etwa zwei Jahre alt war - aber weiter fanden sie nichts.


Der Gen-Test

Ein paar Tage später schickten Paul und Lili gemeinsam ihre genetischen Materialien zu einem Labor, um testen zu lassen, ob sie Geschwister waren.

Nun konnten sie nichts anderes tun, als auf die Antwort zu warten ... und manchmal hielten sie sich in dieser Wartezeit an den Händen und wussten gar nicht, auf welche Antwort sie hoffen sollten ...


ENDE
Copyright Silvia Gehrmann

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