Freitag, 28. Mai 2021

28. Mai 2021 - Masuren - das Land der 1000 Seen und Wälder






Das Land der 1000 Seen und Wälder

... bereits das Synonym für die Masuren hört sich nach Sehnsuchtsland an.

Erst durch eine neue Krimi-Reihe, die abseits vom Main-Stream der beliebten Krimi-Hotspots in Masuren spielt, kam ich auf die Idee zu diesem Blog-Beitrag. Denn die Masuren liegen mir nahe und am Herzen, weil sie vermutlich einen Teil meines Wesens ausmachen. Die größere Hälfte ist westfälisch und in Dortmund beheimatet. Hier kenne ich mich aus, hier im Ruhrgebiet war ich immer zuhause ...

aber da gibt es diesen fernen Landstrich, der nicht mehr Deutschland ist: Ostpreußen, die Heimat meiner Mutter ...

Wie viel Ostpreußen kann in einer Seele stecken, die ganz woanders verbandelt ist und auch gar nicht dort fort möchte?

1945 ist meine Mutter Christel mit ihrer Mutter Alma über die Ostsee nach Dänemark geflüchtet. Dort ist Alma an Typhus gestorben. Christels Vater und ihre drei Brüder waren verschollen, gefallen oder sind irgendwo in der Nähe von Allenstein gestorben. Genaues weiß man darüber nicht. Auch meine Mutter hatte nur über ihren Bruder Heinz nähere Informationen bekommen ... jedoch erst in den 1970er Jahren. Übers Rote Kreuz. Sehr spät.

Für Christel war Ostpreußen stets ihr verlorenes Paradies, eine Welt, in der sie sicher gewesen ist, als in zum Beispiel Dortmund längst die Bomben einschlugen und die Menschen an ihre Grenzen brachten. Als großer Industriestandort war Dortmund natürlich besonders von Bomben-Angriffen betroffen.

Allein kam meine Mutter aus Dänemark ins Ruhrgebiet nach Bochum zu Verwandten. In ihre Heimat konnte sie nicht mehr zurück, da gehörte der südliche Teil lt. dem Potsdamer Abkommen bereits zu Polen ... der nördliche Teil wurde von der Sowjetunion annektiert.

Bis heute ist Allenstein, in dem meine Mutter gelebt hat, polnisch. Gut so. Niemand braucht Kriege, um verloren gegangene Gebiete zurückzuerobern.

Den Ostpreußen fehlt die Grazie. Sie gewinnen nicht bei ihrem Erscheinen; aber auf ihrem soliden Wesen lässt sich sicher bauen. Der Ostpreuße ist die reinste und beste Prosanatur Deutschlands.“

– Ferdinand Gregorovius

Dass meiner Mutter die Grazie fehlte, kann ich nicht bestätigen, aber sie war durchaus und überwiegend Prosa. Und wenn sie unter dem Verlust der Heimat litt, dann verpackte sie dies unter einer Schaufel Humor. Selbst ihren eigenen, in 2010 bevorstehenden Tod spickte sie noch mit Humor ... ohne ein Bedauern darüber erkennen zu lassen, sondern im Gegenteil Dankbarkeit für ein langes 80 Jahre währendes Leben.

Vielleicht war dieser Humor auch einer mentalen Gelassenheit entsprungen:

"Die nahezu göttliche Gelassenheit könnte durchaus als göttliche ostpreußische Nationaleigentümlichkeit bezeichnet werden." - Hans Hellmut Kirst

Nur einmal in ihrem Leben kehrte sie für ein paar Wochen ins Sehnsuchtland der 1000 Seen und Wälder zurück ... irgendwann in den 1990er Jahren. Geträumt hat sie sehr oft von dieser Landschaft voller Geheimnisse und vielleicht auch mit der Frage, wie ihr Leben dort weiter verlaufen wäre ... wenn es den Krieg nicht gegeben hätte.

Also bin ich zwei-seelig aufgewachsen: in der vorderen Reihe mit der westfälischen, während die ostpreußische Seele durch die Hintertür kam.

Meine Mutter und ich ... wir waren uns oft fremd, manchmal sehr nah und immer sehr ähnlich, obwohl gerade diese Ähnlichkeit uns beiden nicht gefiel.

Erst in den letzten Jahren habe ich diese inneren Ähnlichkeiten deutlich erkannt ... nun bin ich geworden, wie ich eigentlich nie wollte: ich bin wie meine Mutter. Zumindest zum großen Teil, denn den westfälischen Teil habe ich dadurch nicht abgelegt, sondern diesem einen ostpreußischen hinzugefügt.

Die ostpreußische Mentalität:

Sie wird durchaus widersprüchlich als bodenständig und weltoffen, genügsam und selbstbewusst, spröde und voller Witz, bewahrend und liberal, deutsch und multiethnisch zugleich beschrieben.

Die westfälische Mentalität: 

Westfalen sind eher melancholische, sentimentale Wesen mit katholischer Prägung, die aber durchaus zur Komik neigen. Jedoch nicht zur „Zwangslustigkeit“ der Rheinländer ... Der Westfale hingegen sei „tief melancholisch“, und deswegen ist das vielleicht auch alles langsamer in Westfalen.“ - Wiglaf Droste

Irgendwo dazwischen fühle ich mich im Innern beheimatet. Aber da jeder sich im Laufe des Lebens weiterentwickelt, bin ich nicht nur westfälisch oder ostpreußisch, sondern auch ich selbst.

Am Ende ist auch jeder ein Kind seiner Zeit, seiner Epoche.



Guten Tag, Gruß Silvia 


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