Freitag, 26. Mai 2023

26. Mai 2023 - Die letzte halbe Stunde des Tages - Teil 3



Die letzte halbe Stunde des Tages

Manchmal habe ich das Gefühl, ich stehe als kleines Mädchen wieder hinter der Wohnzimmer-Tür und lausche den Gesprächen der Erwachsenen - oder auch nur ihrem Fernseh-Programm ... Nur zugucken statt wirklich dabei zu sein. Aber während ich heute und Jahre später hier im Dunkeln sitze, weiß ich, dass mir der Schutz meiner Eltern fehlt, die sich damals vielleicht verärgert über heimliches Zusehen gezeigt haben, mich aber vor allem Bösen behütet haben.

Schon lange muss ich mich ohne sie um mich selber kümmern, und das ist gut so, da es der natürliche Lauf der Dinge ist. Sie haben mir das Rüstzeug schließlich mitgegeben und keine Garantie auf ein lebenslanges kindliches Sicherheitsgefühl. Hinaus ins Leben bin ich ohne sie gegangen, und in manchen Dingen habe ich mich auch meinungsmäßig von ihnen entfernt. Das brachte der Lauf der Zeit und die in ihr gestaltete Geschichte mit sich.

Im Innern bin ich noch immer die, die meine Eltern erkennen würden, wenn wir uns heute wiedersehen würden. Mein Vater ist mit 64 Jahren jung, meine Mutter im Juli 2010 gestorben, 80jährig.

Vermutlich könnten wir drei genau daran anknüpfen, bei dem wir zu ihren Todeszeiten aufgehört hatten, uns miteinander zu unterhalten. Es wären zwar unterschiedliche Dinge, aber es würde keine Fremdheit geben.

Ob ich genau die Tochter war, die sie sich gewünscht hatten, weiß ich nicht, aber ich stand meinem Vater näher als meiner Mutter. Mein Vater hatte dazu seine eigene Meinung, wenn wir beiden Frauen seines Lebens uns wieder einmal gestritten haben: Ihr seid euch zu ähnlich. Und selbst als ich ein kleines Mädchen war konnten meine Mutter und ich uns hervorragend streiten. Es zog sich durch unser Leben - unterbrochen von vielen Phasen der mütterlich-töchterlichen tiefen Eintracht.

Doch in dieser letzten halben Stunde des Tages geht mir noch anderes durch den Kopf, und ich frage mich, was mich an anderen Menschen eigentlich am meisten ärgert. Die Antwort kommt blitzschnell und wird einstimmig von vielen begleitenden Gedanken angenommen:

Dummheit! Dummheit ärgert mich dort, wo sie nicht nötig wäre. Dummheit ärgert mich, wenn sie von einem Menschen ausgeht, der eigentlich schlauer sein sollte.

Neben der Dummheit steht die Gier an zweiter Stelle.

Und wehe, wenn beides aufeinanderprallt.

Und was freut mich besonders an anderen Menschen?

Loyalität.

Langsam neigt sich diese halbe Stunde ihrem Ende entgegen, und ich freue mich auf den nächsten Tag, an dem ich hoffentlich nicht selber eine

Dummheit begehe oder illoyal werde. Kleine Dummheiten sind zwar erlaubt und vielleicht sogar lustig, aber mein Verstand bewahre mich bitte vor den großen.

Das Leben birgt so viele Gefahren und ist stets mehr als nur ein wenig unzuverlässig ...


Guten Tag, Gruß Silvia 

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