Samstag, 18. Dezember 2021

18. Dezember 2021 - Als mein Vater seinen Sohn verlor ...

Das Foto ist aus den späten 1960er Jahren, mein Vater ist ganz links zu sehen, die beiden anderen sind seine Cousins - meine Mutter ist in der Mitte



Als mein Vater seinen Sohn verlor ...

vor einer Woche habe ich den Beitrag "Als meine Mutter ihren Sohn verlor ..." veröffentlicht, und in dieser Woche vervollständige ich den 1. durch einen 2. Beitrag, in dem es um meinen Vater geht. Er ging anders mit dem Tod meines Bruders um, zumindest rein äußerlich. Wie schmerzhaft es für ihn im  Innern war, ließ er uns nie spüren - er musste meine Mutter und mich retten.


Nachdem er mir die schlimmste Nachricht meines Lebens überbracht hat, konnte ich nur noch schreien. Er tat das einzig Richtige: ein Freund, der ihn begleitete, brachte mich als Notfall zu unserem Internisten, der mich mittels zwei Spritzen für ein paar Stunden aus dem Verkehr zog.

Es ist ein Wunder, was Medizin einem vorgaukeln kann: man wird zutiefst ruhig und kann völlig entspannen, bis man einschläft, obwohl man gerade das Traurigste erfahren hat, was man erfahren kann.



Einer musste stark bleiben

... und das war mein Vater. Ohne ihn hätte meine Mutter den Tod meines Bruders selber nicht lange überlebt. Josef war derjenige, der sich um alles kümmerte,

obwohl auch sein Bruder und dessen Frau Inge zum Beispiel halfen: bei so ganz profanen Dingen wie der Planung der  Beerdigung. Inge war Buchhalterin in einem Beerdigungs-Institut. Heinz musste u. a. von Frankfurt a. M. nach Dortmund überführt werden.

Frankfurt - dorther kam mein Vater an jenem 30. Januar, dorthin war er gefahren, ohne uns zuvor Bescheid darüber zu geben: dort musste er in der Gerichtsmedizin seinen toten Sohn identifizieren. Heinz war an einer Kohlenmonoxyd-Vergiftung gestorben und anschließend verbrannt ... es muss eine Qual für ihn gewesen sein, seinen Sohn in diesem Zustand zu sehen.

Auf dem Sarg stand später "Darf nicht mehr geöffnet werden". Und mein Vater hatte sich seinen Sohn zuvor in der sterilen Atmosphäre einer Gerichtsmedizin ansehen müssen ... er hat nie darüber gesprochen. Dass er Heinz noch einmal gesehen hat,

erfuhr ich erst Jahre später. Nicht von ihm.


Beerdigungs-Nachfeier

ein Brauch. Mein Ding ist dieser Brauch nicht. Aber im Gegensatz zu anderen Beerdigungen konnte ich dieser Nachfeier nicht fernbleiben - obwohl meine Mutter nicht anwesend war.

Diese Nachfeier war für einen 19jährigen jungen Mann, aber bei manchen Gästen hätte man denken können, dass ein 80jähriger nach einem langen, erfüllten Leben kurz zuvor zu Grabe getragen worden war. Nur einige wenige benahmen sich, als wäre ein alter Mensch gestorben,

aber diese fielen mir auf. Wir anderen waren starr vor Trauer. Auch die vielen, vielen Freunde von Heinz.

Mein Vater hatte sowohl Verständnis für das eine wie das andere. Trauer ist individuell, und sie kennt keine Regeln. Manchmal hilft auch ein Lachen unter Tränen ... vielleicht ...


Die Jahre danach

Mein Vater erwies sich als Fels in der Brandung meiner Mutter, und auch mir war er eine große Hilfe. Er war glücklich darüber, dass ihm wenigstens eines von zwei Kindern geblieben war - und zeigte dies auch. Worte über große Gefühle schluckte er zwar sein Leben lang

hinunter, aber seine Taten waren die Übersetzer dieser Stummheit.

Er starb am 19. März 1993 im Alter von nur 64 Jahren.

Erst nach dem Tod meiner Mutter fand ich seine Briefe und auch Antworten auf diese Schreiben: Briefe, die an verschiedene Stellen gegangen waren. Es ging dabei um die Todesumstände von Heinz - die nie geklärt worden sind - und um offensichtliche Ungereimtheiten ... die mir auch bekannt sind.

Papa hat diese Briefe in gewissen Zeit-Abständen immer wieder verschickt. Heinz' Tod blieb unaufgeklärt. Bis heute.

Der unaufgeklärte Tod war sicher einer der Gründe für den frühen Tod meines Vaters, aber natürlich nicht der einzige.

Aber seine Stärke gab uns damals Gründe, weiterzuleben - obwohl ihn diese Stärke alle Kraft gekostet haben muss, die ihm zur Verfügung stand und noch weitere, die darüber hinaus ging.

Mein Papa hat uns gerettet. In Worte kann ich das nicht fassen. Es war der größte Liebesbeweis, den mir je ein Mensch zuteil werden ließ.


Guten Tag, Gruß Silvia 

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