Samstag, 20. Juni 2020

20. Juni 2020 - Bienchens Geschichte - 20. Teil



Kaffeetrinken bei Paul

Nach ein paar weiteren Stunden der Sichtung von Unterlagen und anderen Dingen luden Paul und seine Lebensgefährtin mich nach oben in ihre Wohnung zum Kaffeetrinken ein. Kaffee war jetzt genau das, was ich gut gebrauchen konnte, denn ich hatte nicht die Zeit gefunden, mir selber welchen zu kochen,

zu tief war ich in die Erinnerungen meiner Mutter eingedrungen. Obendrein hatte dieses Eintauchen mir Kopfschmerzen bereitet. Es hämmerte gegen meine Stirn als wollte mich jemand von innen erschlagen.

So ähnlich war es auch. Diese Räumerei war nicht körperlich anstrengend, aber seelisch. Ich fand Unterlagen, Fotos und anderes - und legte beiseite, was mein Mann später mit zu uns nach Hause bringen sollte. Vieles andere packte ich in Säcke, um die Inhalte zu verschenken - oder wahlweise dem Sperrmüll zu übergeben.

Was sollte ich schon anfangen mit weiterem Geschirr, mit all ihrer Garderobe, die zwar nicht wirklich zu einer 80jährigen Frau passte, aber auch nicht unbedingt meinem eigenen Geschmack entsprach? Was sollte ich mit etwa 10 Flexi-Leinen für Bienchen machen? Ich halte diese Leinen für viel zu gefährlich, als dass ich sie je benutzen würde? Obendrein war da jede Menge Spielzeug für Bienchen - aber das kleine Bienchen,

so viel wusste ich inzwischen,

konnte mit Spielen gar nichts anfangen. Wenn ich mit ihr spielen wollte, stand sie vor mir und sah mich an, als wüsste sie gar nicht, was ich von ihr wollte?

Kurz gesagt: Es gab viel Kram. Guten Kram. Aber auch völlig überflüssigen Kram.

Ich saß mit Paul und seiner Lebensgefährtin also in ihrem großen Wohnzimmer und trank den Kaffee. Natürlich musste ich ansprechen, dass einige Dinge fehlten, die ich damals in der Wohnung meiner Mutter gesehen und gescannt hatte ...

Es erfolgte keinerlei Erklärung. Außer der, dass ich mich geirrt haben musste. Natürlich hatte ich mich nicht geirrt, aber

ich fühlte diese unendliche Ruhe in mir, die mir verbat, mich mit ihnen darüber auseinander zu setzen. Es war als hielte jemand die Hand über mich, damit ich mich nicht aufregte.

Auch nach dem fehlenden Geld fragte ich.

Aber erst nach einer langen Zeit, weil ich ihnen die Möglichkeit geben wollte, selber davon zu erzählen. Das geschah nicht.

Wenigstens antworteten sie mir auf diese Frage, und erklärten, dass sie das Geld "vorsorglich beiseite" genommen hätten - es sollte

fehlende Nebenkosten-Nachzahlungen decken. Ein bisschen viel für eine Nebenkosten-Nachzahlung, in der nicht viel enthalten sein konnte -

aber wie ich einige Wochen später erfahren konnte, kann man sich Rechnungen passend machen. Meine Mutter konnte ich schließlich nicht mehr fragen, ob das tatsächlich stimmen konnte. Bis heute bezweifle ich die Höhe der A b r e c h n u n g,

aber immerhin war ihnen einen Nebeneinkunfts-Quelle weggebrochen. Jetzt wollten sie wenigstens das behalten, das ihnen noch zugänglich war.

Natürlich hätten sie das Geld trotzdem nicht aus dem Schrank meiner Mutter nehmen dürfen. So wie sie alles andere auch nicht hätten weg nehmen dürfen, ohne mich zu fragen.

Es war für mich damals wie eine Art Schauspiel, gar nicht wirklich real. Da saß ich mit zwei Leuten an einem Tisch und trank Kaffee,

und ich wusste genau, wie die tickten. Ich wusste auch genau, wie das zwischen ihnen und meiner Mutter sehr wahrscheinlich abgelaufen war ...

aber ich machte keinen Aufstand.

Irgendwie wollte ich alles nur schnell über die Bühne bringen - und dann nie wieder etwas mit ihnen zu tun haben. Bis dahin würde jedoch noch einige Zeit vergehen,

denn auch die Wohnung meiner Mutter musste noch ausgeräumt werden.

Die ich, wie Paul meinte, ohne Erbschein eigentlich gar nicht betreten dürfte.

Er erdreistete sich sogar zu sagen, dass auch Bienchen mir nicht gehöre ... erst, wenn ich die Erbschaft angenommen hätte. Ja, sowas tischte der mir auf. Einer, der eine Verstorbene beklaut hatte ...

Daraufhin musste ich kurz mal sehr, sehr streng mit den beiden werden.

Ich war froh, als ich wieder im Zug saß und nach Hause fahren konnte.


Fortsetzung folgt
Copyright Silvia Gehrmann

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